Zur politischen Lage: Der Nord- und der Südjemen driften immer mehr auseinander.
Vor ein paar Tagen ist Exilpräsident Abdrubbah Mansur Hadi mit einigen Ministern in Aden eingeflogen – ohne offiziellen Empfang wie schon bei seiner kurzen Visite im September. Insgesamt war Hadi 8 Monate außer Landes, was sicher zu einer kaum überbrückbaren Entfremdung geführt hat. Er hat sich sofort in den kurzfristig adaptierten und hermetisch abgeriegelten Regierungspalast in Aden zurückgezogen und spricht dort von den Houthis als „Hunden in ihren Höhlen, die wir vernichten werden“ und will selbst die Einnahme von Taizz durch die Truppen sudanesischer und eritreischer Söldner, angeführt vom salafistischen Widerstandshelden von Taizz, Hamoud alMikhlafi, überwachen.
Unterdessen hat Ministerpräsident und Premierminister Khaled Bahah, dessen Konflikt mit Präsident Hadi immer eklatanter wird, die Insel Soqotra besucht und die Schäden durch die Zyklone Chapala und Megh besichtigt. Anschließend ist er nach Abu Dhabi gereist, wo er mit den militärischen Ehren für Staatsoberhäupter begrüßt wurde. In einem kürzlich gegebenen Interview nahm Bahah gegenüber den Houthis einen versöhnlichen Standpunkt ein und lenkte das Feindbild auf den sich ausbreitenden Terrorismus, auf alQaida und Daasch.
Daasch bekannte sich zu einem blutigen Überfall auf ein Militärlager der Regierung am 20.11. an der Strecke zwischen Shibam im Hadramaut und Marib nahe der Abzweigung nach Saudiarabien. Insider vermuten, dass es dabei nicht so sehr um militärische Kampfhandlungen ging, als um die Kontrolle der Schmugglerrouten, die von Mukalla in den Süden Saudiarabiens führen.
Hadi oder Bahah?
In Aden ist Präsident Hadi zwar unbeliebt wie überall im Land, er hat jedoch mehr Zuspruch als Bahah, weil diesem Affinität zu den Houthis nachgesagt wird. In Sana´a, wo die Lage als fast normal und sicher zu bezeichnen ist, hat Hadi überhaupt keinen Rückhalt, ja er ist verhasst, wie eine Großkundgebung am 21. 11. eindrücklich bewies. Zig-tausende demonstrierten gegen Hadi, Saudiarabien und die USA. Die Empörung wurde neu angefacht von Meldungen, dass die USA Saudiarabien Nachschub in der doppelten Menge der bisher über dem Jemen abgeworfenen Bomben liefert.
Hadis immer wieder deklarierte „Legitimität“, mit welcher er die saudische Aggression gegen den Jemen und den Beginn des Krieges einforderte, wird immer mehr in Frage gestellt: Nicht nur seine Wahl ohne Gegenkandidaten im Jahre 2012, sondern auch sein Rücktritt, dann der Rücktritt vom Rücktritt, dann der Regierungsanspruch trotz Ablauf seiner Amtsperiode am 15.2. 2015, dann das luxuriöse 8-monatige Exil in Riadh, währenddessen das jemenitische Volk auf seine Veranlassung „vor die Hunde ging“ – all dies macht die meisten Jemeniten sicher, dass Hadi nicht die geeignete Person ist, den Jemen aus Chaos, Elend und Katastrophe zu führen.
Sana´a, 21.11.2015, Demonstration gegen Hadi, Saudiarabien und die USA, „die 20.000 weitere Bomben für den Abwurf über dem Jemen liefert“.
Verhandlungen Genf II verzögert
Seit Wochen wird nun der Beginn von Verhandlungen – tituliert als Genf II – zwischen den jemenitischen Gegnern zur Erreichung eines Waffenstillstandes gefordert, angekündigt, wieder verschoben, so dass sich der Eindruck mangelnder Konsensbereitschaft der Konfliktparteien verfestigt. Andererseits dringt auch durch, dass es auf verschiedenen Ebenen inoffizielle Kontakte gibt.
Während alle Interventionisten von außen, inkl. UN, US, Europa (getrieben von der Befürchtung neuer Flüchtlingswellen) Druck auf unverzüglichen Verhandlungsbeginn machen, zieren sich die Konfliktparteien. Der offizielle Angelpunkt scheint dabei zu sein, dass die Fraktion von Hadi (mit ihm Renegaten der Regierungspartei Moutamar, die Islah-Partei und andere eher zurückhaltende Parteienvertreter) strikt auf der Durchsetzung der UN-Resolution 2216 bestehen, welche die Houthis in die Niederlage zwingt. Die Houthis haben hingegen ein 7-Punkte Programm vorgelegt, welches eine Übergangsphase zu einer politischen Zusammenarbeit der Kriegsparteien vorsieht, mit der absoluten Priorität der Wiederherstellung der Souveränität des Landes. In Wirklichkeit nimmt die Härte der militärischen Auseinandersetzung zu und jede der Kriegsparteien versucht, eine möglichst günstige Ausgangsposition zu erreichen, wobei die Houthi-Affasch derzeit im Vormarsch sind. Andererseits hat die saudische Allianz ihre Kontingente mit diversen Söldnereinheiten aufgefettet, wobei der Ausgang des Kampfes um Taizz die Verhandlungspositionen bestimmen wird. Dies bestärkt auch die Vermutung, dass es zu regionalen Aufteilungen des Landes kommen wird und es nun um die Grenzziehungen geht.
Der – eher schwache – UN-Gesandte für den Jemen, Ismael Ould Scheich Ahmed war kürzlich in Riadh, hält sich derzeit in Teheran auf und besucht anschließend Qatar, Kuweit und die Emirate, woraus deutlich wird, dass die eigentlichen Konfliktparteien Saudiarabien und Iran nicht nur Mitsprache bei den Entwicklungen haben.
Die Fraktion des Exilpräsidenten Hadi hat inzwischen eine Liste der Delegierten für die Verhandlungen vorgelegt. Sie besteht hauptsächlich aus routinierten Parteipolitikern des gestürzten Regimes Saleh. Die Delegierten repräsentieren das Spektrum der „Altparteien“ von der salafistischen Raschad-Partei bis zur wirtschaftsnahen „Gerechtigkeits- und Aufbaupartei“. Der Süden ist ebenso unterrepräsentiert wie die aus der Revolution und dem Nationalen Dialog hervorgegangenen neuen Bewegungen. Inzwischen hat auch Saleh, der zwar keinen politischen Machtapparat mehr hinter sich hat (Im Exil ist seine Moutamarpartei auf Hadi umgeschwenkt), jedoch nach wie vor sehr starke militärische Verbände dirigiert, fünf Personen seines Vertrauens für die Teilnahme an den Verhandlungen nominiert. Die Houthis haben bisher keine Delegiertenliste publiziert. Es gilt aber als sicher, dass Mohamed Abdelsalam und Saleh alSamad Delegationsführer sein werden. Houthi-Sprecher Abdelsalam bekräftigte dieser Tage, dass die Houthis starkes Interesse haben, in Richtung einer friedlichen Einigung zu arbeiten, denn der Krieg produziere nur Tod und Zerstörung. Die Houthis werden demnach auch die einzigen sein, die neues Personal in die alten Machtkartelle zwängen werden.
Die Fraktionen der Kontrahenten beschuldigen sich naturgemäß gegenseitig, das Genfer Treffen und Verhandlungen zu sabotieren. Zur Zeit heißt es, die Verhandlungen werden auf Dezember verschoben.
Zur aktuellen militärischen Lage
Angesichts der Kriegspropagandamaschinen von beiden Seiten ist kaum möglich, sachlich begründete Informationen zu liefern. Tatsache ist, dass derzeit an folgenden Frontlinien gekämpft wird:
In Saudiarabien wird ein von der westlichen Presse tot geschwiegener Krieg nördlich der jemenitischen Grenze in den saudischen Provinzen Asir, Najran und Jizan geführt. Houthi-Affasch kämpfen dort gegen die saudischen Grenzeinheiten, die inzwischen von Einheiten der Nationalgarde verstärkt wurden. Die Houthis haben erhebliche Geländegewinne zu verzeichnen und zahlreiche saudische Grenztürme, militärische Einrichtungen und Panzer sowie gepanzerte Fahrzeuge zerstört. Bisher gelang es Saudiarabien, diesen Krieg vor der Weltöffentlichkeit zu verbergen, obwohl der Houthi-Sender alMasira ständig Bildmaterial von den Eroberungen der Houthi-Affasch publiziert.
In der Stadt Taizz und im südlichen Umland von Taizz fordern verbissene Kämpfe täglich bis zu 50 Tote auf beiden Seiten. Houthi-Affasch kämpfen hier gegen einen Widerstand der „Muqawama“, der vom Salafisten und selbst ernannten Scheich Hamoud alMikhlafi angeführt werden. Bei seinen Truppen handelt es sich immer weniger um örtliche Widerstandsgruppen, sondern vermehrt um Islah-Milizen.
Der Krieg hat in der liberalen Stadt Taizz mehr sektiererischen Charakter angenommen als anderswo. Inzwischen wurden auch sudanesische Truppen und evtl. auch andere „Ausländer“ wie Eritreer, Mauretanier und Kolumbianer zur „Befreiung“ von Aden nach Taizz entsandt. Ob sie die Lage zugunsten Hadis ändern können, ist mehr als zweifelhaft, denn es ist nicht anzunehmen, dass sich die seit Monaten verheerenden Entbehrungen ausgesetzten Taizzis von ausländischen Besatzungstruppen „befreien“ lassen. In Taizz haben beide Konfliktparteien angefangen, Frauen mit Waffen auszurüsten und sie für den Kampf auszubilden.
UNHCR versorgt die Bevölkerung der Stadt Taizz mit Trinkwasser
Bewaffnete Frau in Taizz. Frauen werden von beiden Kriegsparteien militärisch ausgebildet
Südlich von Taizz zieht sich eine Frontlinie vom Bab alMandab im Westen bis nach Schabwah, umkämpft ist dabei vor allem die Luftwaffenbasis in alAnad 12 km nördlich von Aden. Soweit die Nachrichten glaubwürdig sind, sind die Houthi-Affasch im Vormarsch, insbesondere in alMocha am Roten Meer gelang ihnen ein Überfall aus dem Hinterhalt auf dort stationierte „Befreier“-Truppen, welche Bab alMandab sichern sollten.
Die Emirati in Aden sind die derzeit aktivste „Schutzmacht“ im Jemen. Sie haben Patriot-Abwehrraketen in Marib und einem Stützpunkt in Schabwah installiert und konnten bisher zwei Raketenangriffe der Houthi-Affasch abwehren. Die Houthis setzen sowohl in Marib wie in den Provinzen Abyan, Aden, Lahij und Taizz Antipersonen-Landminen ein, wodurch es zu erheblichen Verletzungen und Verstümmelungen von zivilen Opfern, vor allem Kindern kommt.
Die Front in Marib, welche von den Saudis vor 6 Monaten eröffnet wurde, um Sana´a von Nordosten und Nordwesten in die Zange zu nehmen, steht nach wie vor ca. 30 km westlich von Marib. Die saudischen Truppen scheinen auch den Plan einer Einnahme von Sana´a aufgegeben zu haben, obwohl nach wie vor auf niedriger Flamme gekämpft wird. Als sicher gilt, dass sich die Saudis in Marib festsetzen und dort die Öl- und Gasförderung kontrollieren wollen.
Die Lage in Aden und Sana´a
Die Lage in Sana´a ist fast als normal zu bezeichnen, das Alltagsleben ist eingekehrt. Nach wie vor gibt es erhebliche Mängel in der Infrastruktur: Strom gibt es schon seit drei Monaten nicht mehr. Nachdem auch Benzin wochenlang nicht zu kaufen war, haben sich viele Sana´anis mit billigen Mini-Solaranlagen die Möglichkeit zum Handyaufladen und Fernsehen bei Notbeleuchtung verschafft. Die Schulen haben den Unterricht aufgenommen, allerdings gibt es nach wie vor keine internationalen Flugverbindungen von und nach Sana´a. Die Blockade der Häfen und Flughäfen ist aufrecht. Trotz einer Totalblockade der Rotmeerhäfen wird seit 18.11. an Sana´aer Tankstellen Benzin abgegeben, was die Frage nach geheimen Wegen oder Absprachen aufwirft.
In Aden wurden die emiratischen Truppen ausgetauscht. Im Einsatz sind nun stationäre Truppen, welche die Sicherheit der zurückgekehrten Regierung Hadi garantieren und alQaida sowie Daasch in Schach halten sollen. In den letzten Wochen wurden zudem über 1000 Mann sudanesische Truppen, sowie kolumbianische und mauretanische Söldner angelandet. Inzwischen soll auch die mehrfach angekündigte und dann wieder verschobene Aufnahme von Widerstandskämpfern in das reguläre Heer und die Sicherheitskräfte erfolgen. Der Wiederaufbau geht in Aden mühsam voran, zumal manche Stadtteile auf der Halbinsel schwerst beschädigt sind. Viele Flüchtlinge sind indes zurückgekehrt und eine Normalisierung hat mit der – teils provisorischen – Wiederaufnahme des Schul- und Universitätsbetriebs begonnen. Die Emirate zeigen starke Präsenz und setzten punktuelle Hilfsleistungen mit großem medialen Getöse. In Kürze soll es regelmäßige Flugverbindungen ins Ausland geben.