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Zur politischen Lage: Der Nord- und der Südjemen driften immer mehr auseinander.

Vor ein paar Tagen ist Exilpräsident Abdrubbah Mansur Hadi mit einigen Ministern in Aden eingeflogen – ohne offiziellen Empfang wie schon bei seiner kurzen Visite im September. Insgesamt war Hadi 8 Monate außer Landes, was sicher zu einer kaum überbrückbaren Entfremdung geführt hat. Er hat sich sofort in den kurzfristig adaptierten und hermetisch abgeriegelten Regierungspalast in Aden zurückgezogen und spricht dort von den Houthis als „Hunden in ihren Höhlen, die wir vernichten werden“ und will selbst die Einnahme von Taizz durch die Truppen sudanesischer und eritreischer Söldner, angeführt vom salafistischen Widerstandshelden von Taizz, Hamoud alMikhlafi, überwachen.

Unterdessen hat Ministerpräsident und Premierminister Khaled Bahah, dessen Konflikt mit Präsident Hadi immer eklatanter wird,  die Insel Soqotra besucht und die Schäden durch die Zyklone Chapala und Megh besichtigt. Anschließend ist er nach Abu Dhabi gereist, wo er mit den militärischen Ehren für Staatsoberhäupter begrüßt wurde. In einem kürzlich gegebenen Interview nahm Bahah gegenüber den Houthis einen versöhnlichen Standpunkt ein und lenkte das Feindbild auf den sich ausbreitenden Terrorismus, auf alQaida und Daasch.

Daasch bekannte sich zu einem blutigen Überfall auf ein Militärlager der Regierung am 20.11. an der Strecke zwischen Shibam im Hadramaut und Marib nahe der Abzweigung nach Saudiarabien. Insider vermuten, dass es dabei nicht so sehr um militärische Kampfhandlungen ging, als um die Kontrolle der Schmugglerrouten, die von Mukalla in den Süden Saudiarabiens führen.

Hadi oder Bahah?

In Aden ist Präsident Hadi zwar unbeliebt wie überall im Land, er hat jedoch mehr Zuspruch als Bahah, weil diesem Affinität zu den Houthis nachgesagt wird. In Sana´a, wo die Lage als fast normal und sicher zu bezeichnen ist, hat Hadi überhaupt keinen Rückhalt, ja er ist verhasst, wie eine Großkundgebung am 21. 11. eindrücklich bewies. Zig-tausende demonstrierten gegen Hadi, Saudiarabien und die USA. Die Empörung wurde neu angefacht von Meldungen, dass die USA Saudiarabien Nachschub in der doppelten Menge der bisher über dem Jemen abgeworfenen Bomben liefert.

Hadis immer wieder deklarierte „Legitimität“, mit welcher er die saudische Aggression gegen den Jemen und den Beginn des Krieges einforderte, wird immer mehr in Frage gestellt: Nicht nur seine Wahl ohne Gegenkandidaten im Jahre 2012, sondern auch sein Rücktritt, dann der Rücktritt vom Rücktritt, dann der Regierungsanspruch trotz Ablauf seiner Amtsperiode am 15.2. 2015, dann das luxuriöse 8-monatige Exil in Riadh, währenddessen das jemenitische Volk auf seine Veranlassung „vor die Hunde ging“ – all dies macht die meisten Jemeniten sicher, dass Hadi nicht die geeignete Person ist, den Jemen aus Chaos, Elend und Katastrophe zu führen.

Demo Sanaa 21.11.15

Sana´a, 21.11.2015, Demonstration gegen Hadi, Saudiarabien und die USA, „die 20.000 weitere Bomben für den Abwurf über dem Jemen liefert“.

Verhandlungen Genf II verzögert

Seit Wochen wird nun der Beginn von Verhandlungen – tituliert als Genf II – zwischen den jemenitischen Gegnern zur Erreichung eines Waffenstillstandes gefordert, angekündigt, wieder verschoben, so dass sich der Eindruck mangelnder Konsensbereitschaft der Konfliktparteien verfestigt. Andererseits dringt auch durch, dass es auf verschiedenen Ebenen inoffizielle Kontakte gibt.

Während alle Interventionisten von außen, inkl. UN, US, Europa (getrieben von der Befürchtung neuer Flüchtlingswellen) Druck auf unverzüglichen Verhandlungsbeginn machen, zieren sich die Konfliktparteien. Der offizielle Angelpunkt scheint dabei zu sein, dass die Fraktion von Hadi (mit ihm Renegaten der Regierungspartei Moutamar, die Islah-Partei und andere eher zurückhaltende Parteienvertreter) strikt auf der Durchsetzung  der UN-Resolution 2216 bestehen, welche die Houthis in die Niederlage zwingt. Die Houthis haben hingegen ein 7-Punkte Programm vorgelegt, welches eine Übergangsphase zu einer politischen Zusammenarbeit der Kriegsparteien vorsieht, mit der absoluten Priorität der Wiederherstellung der Souveränität des Landes. In Wirklichkeit nimmt die Härte der militärischen Auseinandersetzung zu und jede der Kriegsparteien versucht, eine möglichst günstige Ausgangsposition zu erreichen, wobei die Houthi-Affasch derzeit im Vormarsch sind. Andererseits hat die saudische Allianz ihre Kontingente mit diversen Söldnereinheiten aufgefettet, wobei der Ausgang des Kampfes um Taizz die Verhandlungspositionen bestimmen wird. Dies bestärkt auch die Vermutung, dass es zu regionalen Aufteilungen des Landes kommen wird und es nun um die Grenzziehungen geht.

Der – eher schwache – UN-Gesandte für den Jemen, Ismael Ould Scheich Ahmed war kürzlich in Riadh, hält sich derzeit in Teheran auf und besucht anschließend Qatar, Kuweit und die Emirate, woraus deutlich wird, dass die eigentlichen Konfliktparteien Saudiarabien und Iran nicht nur Mitsprache bei den Entwicklungen haben.

Die Fraktion des Exilpräsidenten Hadi hat inzwischen eine Liste der Delegierten für die Verhandlungen vorgelegt. Sie besteht hauptsächlich aus routinierten Parteipolitikern des gestürzten Regimes Saleh. Die Delegierten repräsentieren das Spektrum der „Altparteien“ von der salafistischen Raschad-Partei bis zur wirtschaftsnahen „Gerechtigkeits- und Aufbaupartei“. Der Süden ist ebenso unterrepräsentiert wie die aus der Revolution und dem Nationalen Dialog hervorgegangenen neuen Bewegungen. Inzwischen hat auch Saleh, der zwar keinen politischen Machtapparat mehr hinter sich hat (Im Exil ist seine Moutamarpartei auf Hadi umgeschwenkt), jedoch nach wie vor sehr starke militärische Verbände dirigiert, fünf Personen seines Vertrauens für die Teilnahme an den Verhandlungen nominiert. Die Houthis haben bisher keine Delegiertenliste publiziert. Es gilt aber als sicher, dass Mohamed Abdelsalam und Saleh alSamad Delegationsführer sein werden. Houthi-Sprecher Abdelsalam bekräftigte dieser Tage, dass die Houthis starkes Interesse haben, in Richtung einer friedlichen Einigung zu arbeiten, denn der Krieg produziere nur Tod und Zerstörung. Die Houthis werden demnach auch die einzigen sein, die neues Personal in die alten Machtkartelle zwängen werden.

Die Fraktionen der Kontrahenten beschuldigen sich naturgemäß gegenseitig, das Genfer Treffen und Verhandlungen zu sabotieren. Zur Zeit heißt es, die Verhandlungen werden auf Dezember verschoben.

 

Zur aktuellen militärischen Lage

Angesichts der Kriegspropagandamaschinen von beiden Seiten ist kaum möglich, sachlich begründete Informationen zu liefern. Tatsache ist, dass derzeit an folgenden Frontlinien gekämpft wird:

In Saudiarabien wird ein von der westlichen Presse tot geschwiegener Krieg nördlich der jemenitischen Grenze in den saudischen Provinzen Asir, Najran und Jizan geführt. Houthi-Affasch kämpfen dort gegen die saudischen Grenzeinheiten, die inzwischen von Einheiten der Nationalgarde verstärkt wurden. Die Houthis haben erhebliche Geländegewinne zu verzeichnen und zahlreiche saudische Grenztürme, militärische Einrichtungen und Panzer sowie gepanzerte Fahrzeuge zerstört. Bisher gelang es Saudiarabien, diesen Krieg vor der Weltöffentlichkeit zu verbergen, obwohl der Houthi-Sender alMasira ständig Bildmaterial von den Eroberungen der Houthi-Affasch publiziert.

In der Stadt Taizz und im südlichen Umland von Taizz fordern verbissene Kämpfe täglich bis zu 50 Tote auf beiden Seiten. Houthi-Affasch kämpfen hier gegen einen Widerstand der „Muqawama“, der vom Salafisten und selbst ernannten Scheich Hamoud alMikhlafi angeführt werden. Bei seinen Truppen handelt es sich immer weniger um örtliche Widerstandsgruppen, sondern vermehrt um Islah-Milizen.

Der Krieg hat in der liberalen Stadt Taizz mehr sektiererischen Charakter angenommen als anderswo. Inzwischen wurden auch sudanesische Truppen und evtl. auch andere „Ausländer“ wie Eritreer, Mauretanier und Kolumbianer zur „Befreiung“ von Aden nach Taizz entsandt. Ob sie die Lage zugunsten Hadis ändern können, ist mehr als zweifelhaft, denn es ist nicht anzunehmen, dass sich die seit Monaten verheerenden Entbehrungen ausgesetzten Taizzis von ausländischen Besatzungstruppen „befreien“ lassen. In Taizz haben beide Konfliktparteien angefangen, Frauen mit Waffen auszurüsten und sie für den Kampf auszubilden.

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UNHCR versorgt die Bevölkerung der Stadt Taizz mit Trinkwasser

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Bewaffnete Frau in Taizz. Frauen werden von beiden Kriegsparteien militärisch ausgebildet

Südlich von Taizz zieht sich eine Frontlinie vom Bab alMandab im Westen bis nach Schabwah, umkämpft ist dabei vor allem die Luftwaffenbasis in alAnad 12 km nördlich von Aden. Soweit die Nachrichten glaubwürdig sind, sind die Houthi-Affasch im Vormarsch, insbesondere in alMocha am Roten Meer gelang ihnen ein Überfall aus dem Hinterhalt auf dort stationierte „Befreier“-Truppen, welche Bab alMandab sichern sollten.

Die Emirati in Aden sind die derzeit aktivste „Schutzmacht“ im Jemen. Sie haben Patriot-Abwehrraketen in Marib und einem Stützpunkt in Schabwah installiert und konnten bisher zwei Raketenangriffe der Houthi-Affasch abwehren. Die Houthis setzen sowohl in Marib wie in den Provinzen Abyan, Aden, Lahij und Taizz Antipersonen-Landminen ein, wodurch es zu erheblichen Verletzungen und Verstümmelungen von zivilen Opfern, vor allem Kindern kommt.

Die Front in Marib, welche von den Saudis vor 6 Monaten eröffnet wurde, um Sana´a von Nordosten und Nordwesten in die Zange zu nehmen, steht nach wie vor ca. 30 km westlich von Marib. Die saudischen Truppen scheinen auch den Plan einer Einnahme von Sana´a aufgegeben zu haben, obwohl nach wie vor auf niedriger Flamme gekämpft wird. Als sicher gilt, dass sich die Saudis in Marib festsetzen und dort die Öl- und Gasförderung kontrollieren wollen.

Die Lage in Aden und Sana´a

Die Lage in Sana´a ist fast als normal zu bezeichnen, das Alltagsleben ist eingekehrt. Nach wie vor gibt es erhebliche Mängel in der Infrastruktur: Strom gibt es schon seit drei Monaten nicht mehr. Nachdem auch Benzin wochenlang nicht zu kaufen war, haben sich viele Sana´anis mit billigen Mini-Solaranlagen die Möglichkeit zum Handyaufladen und Fernsehen bei Notbeleuchtung verschafft. Die Schulen haben den Unterricht aufgenommen, allerdings gibt es nach wie vor keine internationalen Flugverbindungen von und nach Sana´a. Die Blockade der Häfen und Flughäfen ist aufrecht. Trotz einer Totalblockade der Rotmeerhäfen wird seit 18.11. an Sana´aer Tankstellen Benzin abgegeben, was die Frage nach geheimen Wegen oder Absprachen aufwirft.

In Aden wurden die emiratischen Truppen ausgetauscht. Im Einsatz sind nun stationäre Truppen, welche die Sicherheit der zurückgekehrten Regierung Hadi  garantieren und alQaida sowie Daasch in Schach halten sollen. In den letzten Wochen wurden zudem über 1000 Mann sudanesische Truppen, sowie kolumbianische und mauretanische Söldner angelandet. Inzwischen soll auch die mehrfach angekündigte und dann wieder verschobene Aufnahme von Widerstandskämpfern in das reguläre Heer und die Sicherheitskräfte erfolgen. Der Wiederaufbau geht in Aden mühsam voran, zumal manche Stadtteile auf der Halbinsel schwerst beschädigt sind. Viele Flüchtlinge sind indes zurückgekehrt und eine Normalisierung hat mit der – teils provisorischen – Wiederaufnahme des Schul- und Universitätsbetriebs begonnen. Die Emirate zeigen starke Präsenz und setzten punktuelle Hilfsleistungen mit großem medialen Getöse. In Kürze soll es regelmäßige Flugverbindungen ins Ausland geben.

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Benzinknappheit in Sanaa

Benzinknappheit in Sanaa – hier ein gutes Beispiel dafuer, dass sich Jemeni nicht unterkriegen lassen

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Newsletter 8

Lagebericht: Es gibt derzeit keine gesamtjemenitische Lage, sondern nur fragmentierte politisch/militärische Situationen.

Hadramaut und Mahra: kein Kriegsgeschehen, wachsende Dominanz von alQaida, welche die Sicherheitslage, die Küste und die Wirtschaft kontrolliert. Zerstörungen von historischen Sufi-Heiligtümern und Heiligengräbern durch alQaidaim Stil von Daasch.

alJauf, Marib, alBeidha, Shabwa: Kampfhandlungen zwischen den Truppen der saudischen Allianz und Söldnern (Stammesleute und von der Allianz ausgebildeten und bezahlten Jemeniten) und den Milizverbänden der Houthis. Die saudische Allianz hat einen Stützpunkt in Safer, der Energiezentrale des Jemen, errichtet und versucht von dort aus, Sana´a in die Zange zunehmen, hat bisher jedoch trotz grosser Überlegenheit an Material-und Personeneinsatz keine nennenswerten Fortschritte erzielt, sondern empfindliche Verluste erlitten. Mögliche Ursachen: Unerfahrenheit und fehlende Motivation der saudischen Truppen, Divergenzen in der Kommandozentrale (wiederholt friendly fire), fehlende Ortskenntnis.

Saada, Amran, Hajja, Sana´a, Sana´a-Umgebung, Dhamar, Hodeidah: militärisch in der Hand der Houthis/Saleh. Nur in Hodeidah grössere Aufstände der Bevölkerung gegen die Houthi-Saleh-Besatzung. Sana´a, Sana´a-Umgebung und Saada unter ständigem, die anderen Provinzen unter gelegentlichem Bombardement der saudischen Luftwaffenallianz. Seit nunmehr sechs Monaten Terror aus der Luft, wenig Kampfhandlungen am Boden. Die Bevölkerung ist extrem aufgebracht gegen Saudi Arabien und unterstützt zunehmend die Houthis. Da die militärischen Ziele seit Langem zerstört sind, gelten die Luftattacken nunmehr der Infrastruktur und rein zivilen Bereichen. Die Zahl der zivilen Opfer beträgt derzeit mindestens 2.000 Todesopfer, darunter 500 Kinder. Keine Feuereinstellung zum Feiertag Eid alAdha, zunehmende Blockade der Stadt Sana´a. Alle Brücken, die von Sana´a nach Norden, Westen und Osten führen, wurden gesprengt, daher keine Lieferungen von Öl, Gas, Lebensmitteln, Medikamenten nach Sana´a. Belagerung wie zuvor in Aden.

Taizz, Ibb: intensive Kämpfe zwischen Houthis-Saleh Milizen und „Muqawama“, den örtlichen Widerstandsmilizen. Taizz ist weitgehend zerstört; erbitterte, blutige Straßenkämpfe zwischen den Parteien mit hohen Opferzahlen, dazu Bombardierungen der saudischen Allianz mit vielen Fehltreffern, Zerstörung vieler Krankenhäuser, kaum medizinische Versorgung der Verletzten; abwechselnde Dominanz der beiden Kriegsparteien.

Aden, Lahij, Abyan, alDhale: nur in alDhale, an der Grenze zu Ibb, noch stärkere Kriegshandlungen, sonst keine Kampfhandlungen nach Rückzug der Houthi/Affasch. In Aden haben die Emirate die Herrschaft übernommen. Sie verhalten sich bisher zurückhaltend, haben zum Eid alAdha (24.9.) Geschenke und Lebensmittelspenden ausgegeben, Tanzfeierlichkeiten veranstaltet und versuchen, gute Stimmung zu machen. Über den Hauptstraßen hängen Transparente mit den Porträts der Emire von Dubai und Abu Dhabi mit der Beschriftung „Aden dankt den Emiraten für die Befreiung und die Spenden“.

Am 23.9. kam Abdrubbah Mansur Hadi mit einem saudischen Flugzeug nach Aden. Er wurde am Flughafen weder von Vertretern der Emirate, noch von Ministerpräsident Khaled Bahah, der seit Wochen mit einer Gruppe von Ministern in der Stadt ist und erste Versuche der Normalisierung betreibt, empfangen. Die Spannungen wischen Bahah und Hadi sind nicht mehr zu übersehen.

Hadi hielt eine Festtagsrede mit Hasstiraden gegen die Houthi/Affasch und dienerischem Dank an die saudische Koalition. Expräsident Saleh hielt auf seinem TV-Kanal alJamen aljaum eine Gegenrede, in der er staatsmännisch nationale Einheit gegen den Erbfeind Saudi Arabien proklamierte. Es schien, als sei der ganze Jemenkonflikt, der inzwischen die Region erfasst hat, wieder auf den Machtkampf der Erzrivalen Saleh und Hadi reduziert.

Hadi besuchte dann noch das Kraftwerk in Aden (seitdem gibt es überhaupt keinen Strom mehr) und Verletzte im Krankenhaus und leitete eine Ministerratssitzung, in der er dasselbe forderte, was Bahah seit Wochen umzusetzen versucht: Ein Vierpunkteprogramm, das folgende Massnahmen umfasst: Versorgung der Verletzten, Kompensation der Familien der Opfer, Auszahlung der seit drei Monaten einbehaltenen Gehälter und Integration der Muqawama in die Streitkräfte, Beginn mit dem Wiederaufbau.

Hadi verliess schon am 25. wieder Aden, um vor der UNO-Vollversammlung der saudischen Allianz einen Freibrief für die begangenen Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen auszustellen. Er stösst dabei auf einen Sturm der Entrüstung nicht nur im Jemen, sondern inzwischen in vielen Ländern der Welt, die aufgrund der Berichte der Menschenrechtsorganisationen eine genaue Untersuchung aller Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen – sowohl der saudischen Allianz wie der Houthi-Affasch – fordern.

Die Stippvisite Hadis in Aden hat eindrücklich bewiesen, dass er keinerlei Rückhalt mehr im Jemen hat und er die beanspruchte Legitimation nur aus den UNO-Resolutionen, nicht aber aus dem jemenitischen Volk herleitet. Man wirft ihm auch vor, dass er bisher alle Friedensverhandlungen torpediert und dem jemenitischen Volk damit weiteres Leid zugefügt hat. Die sogenannten „pro-Hadi“-Krafte sind nicht nur militärisch sondern auch politisch eine Schimäre.

Besonders verhasst ist der erst kürzlich von Hadi ernannte Aussenminister Riadh Yassin, der sich als Hassredner profilierte und mit einer eigenen Plakataktion wohl höhere Weihen (die Position Bahahs?) für sich vorbereiten wollte.

Die labile Lage in Aden ist durch die Präsenz der Emirate nicht stabiler geworden. Zum totalen Stromausfall kommen Benzinknappheit, Stopp der Gaslieferungen und Anschläge – sowie vermehrtes Auftreten von alQaida.

Asir, Jizan, Najran: Das sind die drei Provinzen im Südwesten Saudi Arabiens, die jahrhundertelang jemenitisch waren und von ismailischen Stämmen besiedelt sind. Wenig beachtet von der internationalen Presse dringen die Houthi-Affasch als „nationale jemenitische Armee“, wie sie sich bezeichnen, immer weiter nach Saudi Arabien vor. Mit relativ primitiver Ausrüstung zerstören sie Panzer und andere Militärfahrzeuge, haben Apaches abgeschossen, Grenzwachtürme gesprengt und hohe Militärchargen getötet. Sie sind bis 80 km in saudisches Gebiet vorgedrungen. Da Videos der Kampfhandlungen (darunter das panische Fliehen saudischer Grenzeinheiten) regelmäßig im Internet landen, kann die Invasion nicht totgeschwiegen werden und löst bei vielen bomben-terrorisierten Jemeniten, auch solchen, die durchaus keine Houthi- oder Saleh-Anhänger sind, Schadenfreude aus.

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Newsletter 7

Die Lage im Jemen ist derzeit sehr unübersichtlich. Zwar gibt es die klare militärische Tendenz, dass die Houthis aus den besetzten Gebieten im Süden des Jemen in Richtung Norden verdrängt werden, aber es gibt keine zentrale politische Autorität und keine administrative Struktur, welche für das ganze Land oder auch nur größere Gebiete richtungsweisend wäre.

Die Houthis wurden im Süden vor allem vom „Widerstand“ (muqawama) bekämpft und dieser setzt sich aus verschiedenen, oft oppositionellen Gruppierungen zusammen, von denen die wenigsten Milizcharakter haben: Haraka-Gruppen, die während der Revolutionsbewegung entstanden sind, gemässigte bis radikale Sezessionisten, mehr oder weniger fundamentalistische Schafiiten, und alQaida, der größte bewaffnete Gegner der Houthis.

Als charakteristisch für die Muqawama, die aus den Volkskomitees der Revolution hervorgegangen ist, gilt der Umstand, dass sie ihr Ziel – Familie, Behausung und Wohnviertel vor den Übergriffen der Houthis zu schützen – ausschließlich auf lokaler Ebene verfolgt. Mitglieder der Muqawama sind in der Regel nicht militärisch ausgebildet, haben „schlechte“ Waffen und lassen sich über ihren eigenen Einzugsbereich hinaus nicht für bewaffnete Auseinandersetzungen mit den Houthis motivieren. Nach der Vertreibung der Houthis haben sie die Verteilung der Hilfsgüter an die unter Nöten und Mängeln leidende Bevölkerung übernommen, was z. B. in Aden relativ gut funktioniert, obwohl einiges auf dem Schwarzmarkt landet.

Präsident Hadi hat in einem Erlass verfügt, dass das gesamte Heer und die Sicherheitskräfte völlig neu aufgebaut und strukturiert werden und dass Mitglieder der Muqawama ein Anrecht auf Aufnahme ins Heer oder in den Sicherheitsapparat haben. Das war ein kluger Schachzug, weil der Erlass die Muqawama an Hadi bindet – was bisher nicht unbedingt der Fall war – und den Männern eine sichere Existenzgrundlage in dieser extrem unsicheren Lage bietet. Aber naturgemäß finden dadurch auch alQaida-Leute Eingang in die bewaffneten Kräfte des Staates.

Die Muqawama ist ein eher urbanes Phänomen und hat in den verschiedenen Städten eine jeweils andere Zusammensetzung. Gemeinsam ist ihr aber, dass sie derzeit die einzige zuverlässige Ordnungskraft ist und nun auch Aufgaben wie die Müllentsorgung, Notreparaturen und soziale Dienste übernommen hat. Die Schulen sind jedoch nach wie vor geschlossen, Krankenhäuser funktionieren wegen Zerstörungen und Mängeln schlecht.

Diese Funktion der Muqawama ist derzeit besonders wichtig, weil in manchen Gegenden alQaida, die Arm an Arm mit den Widerstandsgruppen gegen die Houthis gekämpft hat, nun Macht an sich reißen und dominieren will.

Die schnelle Vertreibung der Houthis aus Aden, der Luftwaffenbasis alAnad und den Südprovinzen Abyan, alDhale und Lahij, sowie darauf folgende auch aus Taizz und Ibb war nur mit der Unterstützung der alQaida und saudischer Luftangriffe sowie Truppen mit Fahrzeugen und Waffenlieferungen aus den Emiraten möglich. Derzeit liegen die Frontlinien aus der Höhe von Taizz und im Osten in Marib. Es gibt aber auch wieder Rückschläge. Houthis sammeln sich an manchen Orten, formieren sich neu und erobern verlorenes Terrain zurück. Die Situation ist daher sehr volatil.

Seit sich der Kriegsherd sukzessive nach Norden verlagert, driften die verschiedenen Gruppen im Süden auseinander – bis zu bewaffneten Feindseligkeiten untereinander. Gleichzeitig gewinnen lokale Führer immer mehr an Einfluss auf Kosten einer fehlenden zentralen Regierung.

Aus Riadh versichert Exil-Präsident Hadi, sich mit Erlässen und drakonischer Härte gegenüber den Houthis und dem jemenitischen Volk als starker Führer zu behaupten. Zu den Roten Linien Hadis gehört die Erfüllung der Resolution 2216 des Sicherheitsrates, die praktisch eine Niederlage und einen vollständigen Rückzug der Houthis indiziert. Außerdem beharrt er auf der die im Februar 2014 übereilt vorgeschlagene föderale Aufteilung des Jemen in sechs Regionen, welche den Eroberungszug der Houthis erst ausgelöst hat. Ausgeklammert bleibt die Frage nach der Zukunft Sana´as.

Während unter anderem Nadia alSakkaf vorschlägt, den Regierungssitz einige Jahre nach Aden zu verlegen, beharrt Hadi auf schnellem Rückzug der Houthis aus Sana´a. In Sana´a haben die Houthis aber viel Anhang und Rückhalt, während Hadi selbst dort wenige Anhänger hat.

Viele Sana´anis sehen der nahen Zukunft mit Bangen entgehen. Denn sollten die Houthis nicht freiwillig die Stadt verlassen, ist mit weiteren Gewalttaten, wenn nicht mit einem Blutbad und Elend der Bevölkerung zu rechnen. Einerseits werden die saudischen Lufteinsätze fortgesetzt, andererseits ist mit dem Einsatz von Bodentruppen der Allianz und daher mit einem Häuserkampf zu rechnen. Hadi setzt aber vor allem auf die Methode, die schon in Aden angewandt wurde:

Totale Belagerung der Stadt Sana´a und Aushungern der Bevölkerung, sowie Blockade von Strom, Wasser, Gas, Benzin und Telekommunikation. Das wird, wie schon in Aden, große Not bei der armen Bevölkerung und wilde Bereicherung der Kriegsgewinnler am Schwarzmarkt nach sich ziehen. Zur Vorbereitung des Belagerungszustands haben Luftangriffe der Allianz dieser Tage den Hafen von Hodeidah völlig zerstört, damit dort Schiffe keine Ladung mehr löschen können. Präsident Hadi hat bei einem kürzlichen Treffen in Kairo mit alSisi um Assistenz bei der Blockade der Rote Meerhäfen ersucht.

Es laufen zwar derzeit unter der Schirmherrschaft des Oman wieder verdeckte Friedensverhandlungen, auch Algerien soll sich dabei engagieren, aber offensichtlich wollen sich Hadi und seine saudischen Patrone, wie schon in Genf, nicht auf Friedensverhandlungen einlassen, bevor nicht der ganze Westen des Jemen darniederliegt.

Etwas eigenartig mutet dabei an, dass Vertreter des Moutamar (GPC) an solchen Verhandlungen stets als Stakeholder teilnehmen. Eigenartig deshalb, weil der Moutamar ja keine politische Partei im üblichen Sinn, sondern eine Vorfeldorganisation von Expräsident Saleh ist und weil er nach dem etappenweisen Ausscheiden diverser führender Mitglieder nur mehr ein Schatten seiner selbst ist und Einfluss nur noch deshalb hat, weil ihm dieser durch die Verhandler gewährt wird. So wie die Lage jetzt aussieht, werden als Gewinner von Krise und Krieg die Islah-Partei, die von Riadh aus die Fäden zieht, und alQAida, der es gelungen ist, sich fester im Volk zu verankern, hervorgehen.

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Lebensmittelverteilung zu Ramadan

Liebe Sponsoren

Dank Ihrer Spenden konnte Nouria allen YERO Familien Lebensmittel zukommen

lassen. VIELEN DANK und liebe Grüße

Anisa

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Newsletter 6

In den letzten Wochen haben sich die Turbulenzen in den innerjemenitischen Konflikten weiter verschärft. Die Leiden der Zivilbevölkerung konnten trotz der endlich das Land erreichenden Hilfslieferungen kaum gemildert werden.

Saudiarabien hat die der UNO für erste Hilfsmassnahmen zugesagten USD 245 mio immer noch nicht eingezahlt und blockiert zudem die Auslieferung von Hilfsgütern unter dem Vorwand, es könnten Waffen für die Houthi aus dem Iran eingeschmuggelt werden. Dadurch werden diese Lieferungen nicht nur verzögert, sondern auch umgeleitet. Die meisten Hilfsgüter werden zur Kontrolle nach Djibouti gebracht, wo eine Menge beiseite geschafft wird und auf Schwarzmärkten in Afrika landet. Alle im Jemen ankommenden Hilfsgüter kommen über den Hafen Hodeidah im Roten Meer an Land, der von den Houthis kontrolliert wird.

Während die Bevölkerung um den 25. Juni stöhnte, weil es nicht nur kein Benzin für den Verkehr gab, sondern auch kein Diesel für Wasserpumpen, keinen Strom aus Dieselkraftwerken, und zuletzt auch der Internetverkehr mangels Energie lahmgelegt wurde, tauchten Belege auf, dass schon seit Mitte Juni täglich genügend Treibstoff für den gesamten Jemen gelöscht worden sei. Die Houthis haben sämtliches Benzin und Diesel beschlagnahmt, primär, um ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, aber in zweiter Linie, um einen gigantischen Schwarzmarkt aufzuziehen, an dem auch Saleh verdienen soll. Ein Liter Benzin kostete auf dem Schwarzmarkt bis zu 7,50 USD (Normalpreis 75 cent). An Tankstellen gab es gewalttätige Auseinandersetzungen wegen der Bevorzugung der Houthis, die sich als Kämpfer gegen die Korruption ausgeben, bei der Benzinabgabe.

Die Entsolidarisierung der Bevölkerung schreitet in der Not rapide voran. In Aden ist bisher keine einzige Hilfslieferung eingetroffen, jedoch werden Grundnahrungsmittel überteuert (um bis zu 400 %) am Schwarzmarkt angeboten, deren Herkunft als Hilfsgut an der Etikettierung ablesbar ist. Die saudische Luftallianz bombardiert mit Hilfsgütern beladenen Lastwagen, die in Richtung Saada unterwegs sind, weil sie jegliche humanitäre Hilfe an die Houthis verhindern will.

Die UNO, insbesondere der UNO-Gesandte Ismail Ould Scheich Ahmed kündigen zwar immer wieder einen Waffenstillstand noch vor dem Ende des Ramadhan (18. Juli) an, doch die Gewalt nimmt unterdessen zu. Die Attacken der saudischen Allianz der Luftstreitkräfte haben eine neue Dimension erreicht und verfolgen eine neue Zielrichtung. Die Bombenangriffe wurden insbesondere in Sanaa, in Taizz und Aden intensiviert. Neben den bekannten Zielen – Militäranlagen und Waffenarsenalen – werden nunmehr vermehrt zivile Anlagen angegriffen. Dazu gehören die Parteizentralen der Houthi/Ansar Allah und des Moutamar (allgemeiner Volkskongress, Partei von Ali Abdullah Saleh und von Abdrubba Mansur Hadi), öffentliche Einrichtungen sowie Residenzen von wichtigen politischen Repräsentanten dieser Parteien (u.a. auch das Domizil von Präsident Abdrubbah Mansur Hadi), sowie Orte, wo sich möglichst viele Zivilpersonen aufhalten, wie Märkte oder Einkaufszentren.

An einem einzigen Tag, am 6. Juli, wurden 176 Menschen bei den Bombenangriffen getötet und hunderte verletzt – und zum ersten Mal wird in der Berichterstattung nicht mehr zwischen Zivilisten (Kollateralschäden) und Kriegführenden unterschieden. Das bedeutet wohl auch, das die Zivilbevölkerung in Zukunft nicht mehr unter unbeabsichtigte Kollateralschäden fällt, sondern Zivilisten numehr Zielobjekte sind, deren Tod nicht mehr wegen “Zielungenauigkeit” argumentiert werden muss. Die saudische Kriegsführung hat mit der Ausdehnung der Bombenangriffe auf die Zivilbevölkerung eine weitere Eskalation in Richtung Bürgerkrieg gesetzt. Getötet und verletzt wurden an diesem Tag Menschen, darunter viele Kinder auf einem Viehmarkt einer Ortschaft in Lahij im Süden des Landes, auf einem Markt in Hajja im Nordwesten und dutzende Personen in der Stadt Amran, die auf einem Markt für das abendliche Fastenbrechen einkauften. Die internationale Gemeinschaft, beschäftigt mit Grexit und Iran-Verhandlungen, nimmt die steigende Gewalt gegen die Zivilbevölkerung im Jemen bisher nicht zur Kenntnis, geschweige denn zum Anlass für Interventionen.

Die Angriffe der Saudi-Allianz auf die Partei-Infrastruktur der Houthis und des Moutamar folgt der vorausgegangenen Zerstörung der Parteiinfrastruktur der Islah-Partei durch die Houthis und ist offensichtlich Teil einer Strategie, die demokratischen Insititutionen und Strukturen des Jemen nachhaltig zu vernichten. Als die Houthis in Sanaa einmarschierten und ihren Eroberungszug nach Süden begannen, war vorrangiges Ziel die Vernichtung des politischen Gegners, vor allem der Islahpartei sowie der Salafisten. Die Houthis zerstörten nicht nur die lokalen und Provinzbüros der Islah durch Beschuss mit Mörsergranaten und Panzergeschützen, sondern sie verschleppten auch tausende Parteiführer und zerstörten und verwüsteten deren private Häuser. Die Zahl ihrer Gefangenen wird auf etwa 6.000 geschätzt, neben Repräsentanten der Islah sind auch Vertreter anderer Parteien, der Streitkräfte, öffentlicher Einrichtungen darunter, sowie kritische Journalisten, Reporter, Blogger und andere Personen, welche die Houthis kritisieren. Zuletzt drohten sie, jeden, der die Sache der Saudis vertritt, zu verfolgen und zu bestrafen.

Wenn die saudische Luftallianz nun die Parteistrukturen der Houthis und Salehs zerstört, so trägt sie entscheidend dazu bei, dass die wichtigsten politischen Parteien – die etwa 60 % der Bevölkerung repräsentieren – mehr oder weniger eliminiert werden und keine demokratische Struktur, keine Volksvertretung für den Wiederaufbau des Staates mehr vorhanden ist. Daraus ist zu schliessen, dass sowohl Houthis wie auch Saleh und die saudische Allianz eine autoritäre Nachkriegsordnung im Jemen anstreben.

Verschont von den wechselseitigen Vernichtungsstrategien blieben bisher nur die Südbewegung, die aber nach wie vor uneinig ist (wobei sicher nachgeholfen wird), die sozialistische Partei und einige kleinere Parteien.

Unterdessen brechen die politische Allianzen der Kriegsgegner auf und es zeichnen sich Differenzen innerhalb der Konfliktparteien Hadi/Saudi und Houthi/Saleh auf.

Es begann damit, dass die Houthis zwei militärische Führer aus dem Kontingent Salehs absetzten und durch eigene Leute ersetzten. Nicht gesicherte Quellen berichten, dass Saleh daraufhin 5.000 Mann der Republikanischen Garde aus Aden abzog. Bei Verhandlungen mit ausländischen Gesprächspartnern (Russland, Oman, Iran) gehen Saleh und die Houthis ohnehin getrennte Wege.

Saleh ist international zusätzlich beschädigt, seitdem seine „Intimkontakte“ zur alQaida seit den 1990er Jahren (die im Jemen immer schon bekannt waren) durch einen alQaida-Whistleblower international veröffentlicht wurden. Ammar Saleh, Neffe von Ali Abdullah Saleh, und Vizepräsident der von den USA mitbegründeten jemenitischen NSA, fungierte als Verbindungsoffizier zur Saleh-loyalen alQaida-Gruppe und war sozusagen Supervisor des alQaida-Attentats auf die US-Botschaft in Sanaa 2008.

Auch zwischen Exilpräsident Abdrubbah Mansur Hadi und seinem Patron Saudiarabien gibt es zunehmend Spannungen. Während Hadi nun schon zum zweiten Mal in kürzester Zeit – doch viel zu spät – UN-Generalsekretär Ban ki-Moon um Vermittlung und um Hilfe für das jemenitische Volk gebeten hat, verstärkt Saudiarabien täglich seine Bombeneinsätze. Hadi stützt sich im Exil, wie schon zu Regierungszeiten in Sanaa, auf seinen Sohn Jamal und auf seinen Kanzleichef Ahmed Aswad bin Mubarak. Zwischen Jamal Hadi und dem Bruder von Ahmed bin Mubarak soll es in letzter Zeit zu gröberen Reibereien gekommen sein, die zum Exodus dieses Bruders nach Jeddah geführt haben. Ministerpräsident Khaled Bahah steht offiziell zwar loyal zu Hadi, hält jedoch Distanz zu den Saudis.

Das Auseinanderdriften von Allianzen, die Erosion der Strukturen und die Verelendung der Bevölkerung geben Anlass zu Befürchtungen für die Zukunft. Es mehren sich die Annahmen, dass ein einheitliches Land Jemen, das in den bisherigen Grenzen ohnehin erst seit 1990 besteht, nicht haltbar sein wird und es zu einer Aufteilung in mindestens zwei, müglicherweise bis zu vier unabhängige Staaten kommen wird.

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In fuel-starved Yemen, women turn to bikes

With fuel running out and Saudi-led airstrikes resuming, a young activist led a group of women out on bicycles across the city

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Newsletter 5

Was derzeit im und rund um den Jemen passiert:

Ausgangslage regional

Die neuen Allianzen im Mittleren Osten sind derzeit noch keineswegs stabil und der Kampf um den Jemen bzw. die Instrumentalisierung dessen innerer Konflikte und der Konfliktparteien dienen dem Kräftemessen der Kontrahenten.

Saudi Arabien erprobt sich erstmals (nach der Generalprobe in Bahrein) als Militärmacht und möchte den Luftkrieg gegen den Jemen nutzen, um militärisch die Golfländer zu einen und gleichzeitig zu kontrollieren. König Salman arbeitet daran, seine Allianz gegen den Iran unter Einbeziehung der Türkei, Pakistans, Katars und Ägyptens zu verfestigen und durch diese neue Allianz das frühere Bündnis mit den USA zu ersetzen.

Der Iran arbeitet gegen diese Golfallianz unter Einbeziehung seiner Alliierten Libanon, Syrien, Irak und zunehmend auch Oman an. Weiters versucht der Iran, Pakistan auf eine neutrale Linie zu bringen und – fast immer – zu deeskalieren und militärisches Engreifen zu vermeiden. Allerdings werden auch provokative Schritte gesetzt, wie die Entsendung von Frachtschiffen mit Hilfsgütern in den Jemen, die sich nicht den von Saudi Arabien auferlegten Kontrollinstanzen beugen wollen. Der Iran weiß sowohl Russland wie China hinter sich.

Der Iran weist immer wieder daraufhin, dass die “muslimischen Brüder” zusammenarbeiten und zusammenhalten sollten und sich nicht von Israel gegeneinander ausspielen lassen sollten.

Israel wieder hat größtes Interesse, Konflikte zwischen arabischen Mächten zu schüren und zu eskalieren. Zwar verfolgt Israel das gleiche Ziel wie Saudi Arabien, den Iran auf die eine oder andere Art an der Nutzung von Atomkraft zu hindern. Sollte aber Saudi Arabien selbst nach Atomkraft streben, um mit dem Iran gleichzuziehen, wird Israel vom Verbündeten zum Feind Saudi Arabiens.

In Europa werden die Versuche, den Abschluss des Atomvertrages mit dem Iran zu verhindern, von Frankreich – neuerdings Liebkind der Golfstaaten – und Großbritannien eifrig unterstützt, ebenso wie das militärische Vorgehen gegen den Jemen, wovon man sich lukrative Waffenaufträge für die verbrauchten (Saudiarabien) und zerstörten Waffensysteme (Jemen) verspricht.

Besonders unklar ist die Entwicklung einer neuen Außenpolitik der USA im Mittleren Osten und im Verhältnis zum Iran und zu Saudi Arabien.

Mittelfristig ist mit einer politischen Annäherung zwischen den USA und dem Iran einerseits und Saudi Arabien und seinen Proxies sowie Daasch, alQaida und radikalen Salafisten andererseits zu rechnen. Die Fronten sind bereits in allen von Kriegen überzogenen Staaten des arabischen Frühlings errichtet, und am deutlichsten derzeit im Irak nachvollziehbar.

Saudi Arabien versucht mit allen ihm zur Verfügung stehenden Maßnahmen und Mitteln, Liberalisierung und demokratische Tendenzen im mittleren Osten zu verhindern, während die USA sich mehr und mehr ihrer moralischen Prinzipien besinnen und ihre verlorene Glaubwürdigkeit wieder gewinnen wollen. Man will nicht mehr Demokratie nur predigen, während man gleichzeitig repressive Regierungen aus opportunistischen Motiven stützt.

Für die USA hat der Antiterrorkampf absolut Vorrang, wobei sich der Iran als wesentlich effizienterer Partner erweist als die Golfstaaten. Die USA benützen derzeit auch die saudischen Luftattacken auf den Jemen, um im Windschatten Drohnenattacken gegen alQaida-Kämpfer zu lancieren.

Für Russland und China öffnet sich durch den Wechsel der Positionen und Allianzen ein erweitertes Operationsfeld. Wobei die russische Doktrin zu den Ereignissen im Nahen Osten sich wesentlich von der westlichen, insbesondere den US-Politiken (von einer einheitlichen Politik ist nicht zu reden) unterscheidet.

Die aktuellen Ereignisse im Jemen sind auch und vor allem in diesem Spannungsfeld und der Instabilität in der Region zu sehen.

Ausgangslage Jemen

Die Ausgangslage im Jemen ist einerseits “hausgemacht”, insbesondere was den Staatsstreich Salehs und der Houthis betrifft, andererseits aber ohne Einmischung der Regionalkräfte nicht denkbar. Folgende Faktoren konstituieren die aktuelle Ausgangslage für den Jemen:

 

–  die gescheiterte Konferenz in Camp David: US Präsident Obama trifft die – stellvertretenden – Regenten der Golfstaaten. Es kommt zu keiner Einigung über einen Beistandsvertrag der USA mit den Golfstaaten. Über das geplante Gesprächsthema “Krise im Jemen” gibt es keine Ergebnisverlautbarungen. In der Vorfeld-Pressekonferenz forderte Obama Lösungen für: “how we can build on the ceasefire that’s been established to restore a process for an inclusive, legitimate government inside of Yemen”.

–  Beendigung der Feuerpause/Einstellung der Fliegerangriffe auf den Jemen am 18.5. mit sofortiger verstärkter Wiederaufnahme in allen Städten, vor allem in Sana´a.

–  vollkommen unzureichende Versorgung der jemenitischen Bevölkerung mit Hilfsgütern in der 5tägigen Feuerpause. Hilfslieferungen kommen wegen der saudischen Blockade der Häfen und akribischer Kontrollen der Hilfsgüter nicht bei den Bedürftigen an.

–  Abschluss der dreitägigen Riadh-Konferenz am 20. 5.2015 mit Dominanz des GCC, unter Teilnahme der Exilregierung und etwa 150 Vertretern jemenitischer Parteien mit Ausnahme der Houthis und von A.A. Saleh, aber mit Persönlichkeiten des Moutamar.

–  Der Iran beschuldigt Saudi Arabien mehrfach, Verursacher der humanitären Katastrophe im Jemen zu sein.

–  Der Iran entsendet ein Frachtschiff mit 2.500 t Hilfsgütern nach Hodeidah und Begleitung von zwei Corvetten und will dieses nur von der UNO im Hafen von Hodeidah kontrollieren lassen. Saudi Arabien will das Bab alMandab blockieren und besteht auf Kontrolle durch saudisches Personal in Djibuti.

–  Schlussdokument der Riadh-Konferenz, wichtigstes Detail: “The declaration called for deploying Arab forces in Yemeni cities as part of support to popular pro-government resistance fighters as well as a humanitarian relief intervention”. Dies bedeutet, dass die Souveränität des jemenitischen Staates nach der Luft- und der Seehoheit auch am Boden weiter ausgehöhlt wird – alles mit Einverständnis der Exilregierung.

–  Opferzahlen am 20.5. laut UN seit Beginn der Luftangriffe am 26.3. 2015: 2.200 Tote (zumeist Zivilisten), über 7.000 Verletzte, die meisten ohne medizinische Versorgung, 550.000 Vertriebene (alle Zahlen ohne Opfer der Houthis, da diese nicht bekannt sind).

–  21.5.: Ankündigung eine inklusiven Jemenkonferenz am 28.5. in Genf durch UN-Generalsekretär Ban ki-moon: Ziel dieser Konferenz ist es, „to restore momentum towards a Yemeni-led political transition process.” Er verpflichtete alle Beteiligten „to act in good faith and without preconditions.”

–  Außenminister Ryad Yassin hat für die Exil-Regierung die Teilnahme wegen des knappen Termins abgesagt und Abdelmalik alHouthi stellte als Bedingung, dass das Friedens- und Partnerschaftsabkommen vom 21.9. 2014 aus Ausgangspunkt für die Verhandlungen dient. Saleh hat schon in seiner letzten Botschaft den Vorschlag einer solchen Konferenz in Genf gemacht!

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Newsletter 4

In den großen Städten des westlichen Jemen herrscht absoluter Notstand:

Die Fernsehkanäle in den Golfstaaten berichten dieser Tage über die seit 26. März andauernden Einsätze ihrer Luftwaffengeschwader auf Ziele im Jemen wie seinerzeit CNN über die Präzisionsattacken auf den Irak im Golfkrieg: Medien und Golf-Publikum berauschen sich am „Blitzkrieg“ des „Sturms der Entschlossenheit“ und es herrscht Siegerstimmung. Kriegsberichte über Syrien zeigen vorwiegend die leidende Bevölkerung, aber Mitleid mit den Jemeniten, die seit drei Wochen anhaltendem Luftterror ausgesetzt sind, ist nicht vorgesehen.

Inzwischen werden über 1500 Raketenabschüsse gemeldet, die keineswegs nur militärische Ziele wie Waffenarsenale oder Kasernen betreffen. Es wurden Schulen, Krankenhäuser, öffentliche Gebäude, die drei größten Flughäfen, Straßen, Brücken und die ohnehin schwache Infrastruktur getroffen. Fast tausend Menschen kamen in den Bombardements um und Tausende wurden verletzt. Gleichzeitig wurde das Land von jeder Zufuhr von Hilfsgütern abgeschnitten.

In den großen Städten des westlichen Jemen herrscht absoluter Notstand:

Es gibt keine medizinische Versorgung, weil es keine Medikamente mehr gibt, es herrscht akute Lebensmittelknappheit, weil die dringend erforderlichen Importe nicht in die Häfen gelangen und Ladungen nicht gelöscht werden können. Zudem gibt es Lebensmittel und Benzin nur zu Schwarzmarktpreisen, Strom oft nur noch zwei Stunden am Tag, auch Gas zum Kochen ist kaum noch zu bekommen und es herrscht akuter Wassermangel. Das Leben ist für die Stadtbewohner unerträglich geworden, zumal an Schlaf angesichts des nächtlichen Bombenhagels nicht zu denken ist. Keller oder Schutzräume sind weitgehend unbekannt – nur Ex-Präsident Saleh hat weiträumige Tunnelanlagen unter Sana´ a und Aden errichten lassen, allerdings nur für seinen persönlichen Schutz. Es ist geradezu absurd, dass die Versorgung mit Qat nach wie vor funktioniert während sehr viele Kinder nicht genug zu essen bekommen.

Am schlimmsten ist die Lage in Aden, das nach wie vor zwischen der Allianz der Houthis mit Saleh-loyalen Truppen und den Volksmilizen, sowie den Regierungstruppen umkämpft ist. Die Raketenabwürfe aus der Luft werden vom Geschützfeuer von der Seeseite potenziert. In den Straßen der zentralen Stadtteile wird zudem von Mann zu Mann gekämpft. Neue Kampfhandlungen werden aus Brega im Westen Adens gemeldet, wo sich eine große Raffinerie befindet. Sowohl die Luftangriffe, wie die Attacken von vorwiegend ägyptischen Kriegsschiffen, richten sich hier zunehmend gegen zivile Ziele. Ungefähr zwei Drittel der Bevölkerung haben die Stadt verlassen und sind in die Dörfer geflüchtet. Es scheint, man will die Stadt Aden, welche den Fokus des Konflikts bildet, komplett zerstören.

Ähnliche Zerstörungsaktionen werden zuletzt auch aus Taizz gemeldet, wo der Regierungspalast in Trümmer gelegt wurde – angeblich befindet sich dort ein Waffendepot. Augenzeugen berichten, dass die gesamte Infrastruktur der Stadt durch die Raketeneinschläge zerstört wurde. Die Kriegshandlungen in Taizz werden, soweit feststellbar, zwischen Angehörigen der Republikanischen Garde und der regierungstreuen 35.Brigade ausgetragen.

Die Ausschaltung des 2012 abgesetzten Präsidenten Saleh, der hauptverantwortlich für die Destruktion des politischen Übergangs und das derzeitige Desaster ist, muss eine Vorbedingung für jegliche Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen bilden, die sobald wie möglich beginnen sollten. Wie eine neue Regierung unter Einfluss von Saleh aussehen würde, hat das von Saleh gelenkte Regime der Houthis seit 21. September 2014 gezeigt: hierarchische militärische Strukturen, Diktatur, massive Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten einschließlich Meinungsfreiheit und Pressefreiheit, willkürliche Festnahmen, Hausarrest oder Haft unter Ausschaltung von Gerichten und Missachtung von Gesetzen, brutale Verfolgung von politischen Gegnern mit militärischer Gewalt, ohne jede Rücksicht auf die Bevölkerung.

Der im Exil weilende und offensichtlich unter massivem Druck seiner saudischen Gastgeber agierende Präsident Abdrubbah Mansour Hadi hat eine Fortsetzung der Bombardements gefordert, jedoch einer Bodeninvasion eine Absage erteilt. Dies bedeutet wohl, dass es Saudi Arabien bisher nicht gelungen ist, Kontingente von Söldnern für eine Bodeninvasion „einzukaufen“. Nachdem Ägypten und Pakistan abgewinkt haben, war auch eine kürzlich erfolgte Reise von Verteidigungsminister Mohamed bin Salman in die subsaharischen Länder Tschad, Mauretanien und Senegal zwecks Anwerbung von Söldner-Kontingenten nicht sehr erfolgversprechend.

Hadi hat einen Vorschlag des Iran zur Beendigung der Kriegshandlungen abgelehnt. Der Iran hatte dem UNO-Sicherheitsrat folgendes 4-Punkte-Programm unterbreitet: sofortiger Waffenstillstand mit Beendigung aller militärischen Aktivitäten ausländischer Kräfte, humanitäre Hilfe, Wiederaufnahme eines breiten nationalen Dialogs und Einrichtung einer Regierung unter Beteiligung aller politischen Kräfte.

Der von Hadi ernannte neue Vizepräsident und neue/alte Ministerpräsident

Khaled Bahah legte in einer Rede die Distanz zur Haltung der saudischen Gastgeber und eine kompromissbereitere Haltung, als Hadi einnahm, sowie Vorschläge für eine Rückkehr zu Verhandlungen vor. Er legt sich nicht auf Riad als Verhandlungsort fest und richtete sich in einer Pressekonferenz an alle am Konflikt Beteiligten: seine Exilregierung werde sich darauf konzentrieren, humanitäre Hilfe zu organisieren. Er appellierte an die Armee, die zum größeren Teil von Ex-Präsident Saleh kontrolliert wird, sich der legitimen Regierung zu unterstellen, und verlangte von den Houthis, ihren Vormarsch auf Aden zu stoppen.

Inzwischen sind weltweit Aufrufe zur Beendigung des Konflikts und zur Einstellung des Luftkriegs eingetroffen: UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon hat in einem Aufruf an alle Parteien, also auch an die von Saudi Arabien geführte Anti-Houthi-Koalition, zu Feuerpausen und Waffenstillstand aufgefordert: „Es ist Zeit, Korridore für lebensrettende Hilfe zu schaffen und dem Frieden einen Weg zu öffnen.“ Russland war mit seiner Initiative zu Feuerpausen für humanitäre Ziele an der Ablehnung der Golfstaaten, Frankreichs und Großbritaniens im Sicherheitsrat gescheitert. Nun haben auch Präsident Obama und der chinesische Präsident

Xi Jingping an König Salman bin Abdelaziz appelliert, die Bombardierung des Jemen zu stoppen.

Jamal Benomar, der seit vier Jahren die Parteienverhandlungen im Jemen als Gesandter der UNO leitete, hat sein Amt niedergelegt. Als Gründe für sein Scheitern bezeichnete er die kontinuierliche Sabotage seiner Bemühungen durch Expräsident Saleh sowie die zu späte und zu schwache Reaktion des Sicherheitsrates  auf seine Alarmberichte. Jamal Benomar hatte seit der Einnahme Sana´as durch die Houthis im Jemen massiv an Kredit verloren und wird nun auch von den Golfstaaten abgelehnt. Ihm wird vorgeworfen, die Arretierungen der Regierung hingenommen und die militärische Aggression der Houthis nicht entschieden zurückgewiesen zu haben. Benomar wird voraussichtlich durch den mauretanischen UNO-Diplomaten Ismael Ould Scheich Ahmed, der schon 2008-12

im Jemen tätig war, ersetzt.

Inzwischen zeigt der Moutamar (der allgemeine Volkskongress – die Partei A.A. Salehs) weitere Auflösungstendenzen, nachdem sich schon die Südfraktion losgelöst hatte und abgewanderte Moutamar-Mitglieder neue Parteien gegründet haben. Etwa 20 Moutamar-Führungskräfte sollen mit ihren Familien und Gefolgen in den letzten Tagen das Land verlassen haben, zumeist in Richtung Golfländer. Unter ihnen ist Sultan Barakani, der Generalsekretär des Moutamar und zuletzt auch Naji al Shayef, ehemaliger oberster Scheich des Bakil-Stammes und enger Vertrauter von A.A.Saleh. Saleh selbst machte sich über Berichte in alJazira und alArabia über seine bevorstehende Ausreise mit den Worten lustig: „Der Mensch muss erst noch geboren werden, der erlebt, dass ich meine Heimat verlasse.“

Saudi Arabien hat der UNO für ihren humanitären Einsatz in Jemen

274 Millionen Dollar zugesagt. Riad reagiert damit auf einen Hilfsappell der Vereinten Nationen, die genau diese Summe (umgerechnet 253 Millionen Euro) gefordert hatten, um die mehr als 7,5 Millionen von dem Konflikt betroffenen Menschen im Jemen mit dem Nötigsten versorgen zu können. Angesichts der verursachten Schäden bedeutet diese Summe wohl einen Tropfen auf einen heißen Stein.

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Newsletter 3

Wieder wird der Jemen von schwersten Unruhen erschüttert.

Nachdem meuternde Truppen der zentralen Sicherheit und der Nationalgarde sowie Houthimilizen weiter in den Süden vordrangen und Aden, dem derzeitigen Regierungssitz, gefährlich nahe kamen, eskalierte die Lage. Präsident Hadi musste fliehen und gelangte über Riadh nach Scharm alScheich zum Gipfeltreffen der arabischen Liga, wo Jemen und die militärische Intervention der Golfstaaten das zentrale Thema bildet.

Der Jemen ist derzeit auch Hauptthema der internationalen Nachrichten, zumal die Zuspitzung der Lage mit dem Steigen der Ölpreise bereits weltweite Konsequenzen hat. Viele Nachrichten stellen den jemenitischen Konflikt als Religionskrieg oder Stellvertreterkonflikt für den Machtkampf zwischen Saudiarabien und dem Iran um die Vorherrschaft im Nahen Osten dar.

Auch Hadi selbst und Vertreter arabischer Staaten stellen den Konflikt beim arabischen Gipfel so vereinfacht dar, um – endlich – eine starke  Solidarität der arabischen Länder gegen den Iran zu erreichen und die Basis für eine gemeinsame militärische Eingreiftruppe zu schaffen. Dabei profiliert sich als Führungsfigur der junge saudische Verteidigungsminister Mohamed bin Salman, Sohn des kränkelnden Königs, und der Jemen bildet den Schauplatz für den ersten Einsatz der panarabischen Truppe.

Die Situation ist jedoch komplexer:

Im Jemen kämpfen drei Kräfte um die Macht im Staate. Es handelt sich nicht um einen Religionskrieg – auch wenn manche Medien dies behaupten, sondern um einen politischen und militärischen Machtkampf.

Die Schlüsselfigur dabei ist der 2012 nach der Revolution abgesetzte Präsident Ali Abdullah Saleh, der sich in 30 Jahren absoluter Herrschaft ein effizientes Netzwerk im Militär, bei den Sicherheitskräften, bei einer reich gewordenen Elite und bei den Stämmen geschaffen und erhalten hat. Obwohl er Immunität zugesichert erhielt und mit 60 Milliarden USD, die er während seiner Regierungszeit privat „erwirtschaftet“ hat, ein blendendes Auskommen für seinen gesamten Familienclan hätte, hat Saleh seine erzwungene Abdankung nie akzeptiert und kontinuierlich vor allem durch Sabotage der Regierung von Abdrubbah Mansur Hadi, seinem Vizepräsidenten und Nachfolger, versucht, wieder an die Macht zu gelangen und seinen Sohn Achmed Ali, einen ehemaligen Kommandanten der Republikanischen Garde, als Präsident in einem zentralistisch und autoritär regierten Jemen zu etablieren. Dabei war ihm klar, dass er bei Beibehaltung der Roadmap der Golfstaaten für den politischen Übergang, also nach Verabschiedung einer neuen Konstitution mit demokratischem Wahlrecht und entsprechender Wählerregistrierung keine Chance auf einen regulären Wahlsieg hätte. Denn Rückhalt hat er nur bei einer kleinen Minderheit, die von seiner Bereicherung auf Kosten des Volkes profitierte, während Investitionen in die Infrastruktur und in die Wirtschaft, welche der gesamten Bevölkerung zugute gekommen wären, sträflich vernachlässigt wurden.

Salehs Strategien zum Usurpieren der Macht kulminierten wegen des Zeitplans des politischen Übergangs in den letzten Monaten, wobei er – wie während seiner gesamten Amtszeit – rücksichtslos gegenüber dem jemenitischen Volk vorging, das zunehmend verarmte und Sabotageakten ausgesetzt war, die nicht nur blutige Anschläge sondern absichtliche Verknappung von Strom, Benzin, Gas und anderen Grundelementen der Versorgung und weitere Massnahmen zur Destabilisierung der Regierung von Abdrubbah Mansur Hadi umfassten. Zu diesem Zweck setzte er auch sein Medienimperium ein, das auf das Volk einhämmerte, früher – unter Saleh – sei alles besser gewesen und jetzt sei alles schlecht und die Regierung schwach.

Schon vor zwei Jahren schmiedete Saleh ein Komplott, welches ihm den Wiedergewinn der Macht durch Instrumentalisierung der Houthis sichern sollte. An diesem Komplott waren nicht nur Vertreter der Houthis selbst, sondern Repräsentanten der VAE und des früheren saudischen Königs Abdullah beteiligt – und auch der Iran wurde auf dem Laufenden gehalten. Das Komplott blieb nicht geheim und hatte letztendlich zur Folge, dass Saleh und Vertreter der Houthis von der UNO mit Sanktionen (Reiseverbot, Einfrieren der Konten) belegt wurden. Ausserhalb des Jemen betrieb Sohn Achmed Ali Saleh, Botschafter in den Emiraten, die Koordination des Komplotts und versuchte gleichzeitig, die Milliarden am Finanzplatz Dubai vor dem Einfrieren der Konten zu verstecken.

Ein von AlJazira vor einigen Wochen publiziertes Telefongespräch zwischen Ex-Präsident Saleh und einem Houthivertreter, bei dem es um die Verhinderung der Ernennung von Achmed bin Mubarak zum Regierungschef im November 2014 ging, lässt darauf schliessen, dass Saleh in diesem ungleichen Politkomplott das Sagen hatte.

Es ist nach wie vor unerklärlich, warum die Houthis auf das Komplott eingegangen sind. Es war absolut vorhersehbar, dass Saleh nie beabsichtigte, die Macht zu teilen und vorhatte, die Houthis, die bei militärischen Erfolgen bei den Golfstaaten Alarmglocken auslösen würden, ans Messer zu liefern und dann als Retter des Vaterlands dazustehen und reibungslos die Macht zu übernehmen. Die Vertreibung der wichtigsten Vertreter der Islah-Partei aus dem Land, die Zerstörung der Parteistruktur der Islah und die Jagd auf Präsident Hadi und seine Regierung, die Auflösung aller Regierungsstrukturen und Missachtung der Gesetze verwandelten das Land in den letzten Wochen und Monaten in einem Albtraum an Destabilisierung, Chaotik und zunehmender Gewalt. Zwei Tage vor dem ersten Bombenangriff durch die panarabische Luftwaffe wurde dann auch Ali Achmed Saleh in Riadh vorstellig und schlug genau diesen Handel vor: Saleh liefert die Houthis ans Messer, Saudiarabien erreicht für die Salehs dafür die Aufhebung der Sanktionen und den Weg zur Macht.

Doch laut alArabia stiess er auf absolute Ablehnung beim neuen Verteidigungsminister Mohamed bin Salman (35), der auch engste Vertrauensperson seines Vaters, des Königs ist. Dieser verwies ihn auf die Golfinitiative und die Rechtmässigkeit der Präsidentschaft von Abdrubbah Mansur Hadi. Mohamed bin Salman wies Achmed Ali auch darauf hin, dass die rote Linie die Stadt Aden sein und die Golfstaaten eingreifen werden, sobald diese rote Linie überschritten ist – was spätestens am Mittwoch 25. März der Fall war.

Die Houthis haben sich den Ruf als unbesiegbare Kraft auf ihrem Vormarsch von Saada über Amran nach Sanaa und dann nach Osten, Westen und Süden erworben. Sehr viel von diesen militärischen Siegeszügen ist nichts als Camouflage, aber gerade diese Camouflage hat zur völligen Verunsicherung der Bevölkerung beigetragen. Denn die Houthis sind zumeist – vor allem was Taizz und Aden betrifft – nicht einmarschiert, sondern sie waren schon da. In den grösseren Städten gibt es überall Kasernen und Waffenarsenale der „Special forces“, zumeist frühere Mitglieder der Zentralen Sicherheit (amn almarkazi) und der Republikanischen Garde (harras aljumhori), und es sind Soldaten dieser Einheiten, welche nur dem Befehl Salehs folgen, die den Siegeszug der Houthis simulieren.

Deshalb ist das wer, wann, wie, warum der Kriegshandlungen kaum mehr nachzuvollziehen, weil Unklarheit darüber herrscht, welche bewaffneten Gruppen mit welchen Bezeichnungen welche Aktivitäten setzen. Als „Volksmiliz“ können sowohl bewaffnete Unterstützer der Houthis (also Mitglieder Saleh-loyaler Truppen) wie organisierte Stammesmilizen firmieren. Houthis treten sowohl in Zivilkleidung wie in verschiedenen Militäruniformen auf. Unter den Sicherheitskräften gibt es Gruppierungen, welche den Vormarsch der Houthis forcieren und solche, die auf Seiten Hadis kämpfen (diese sind allerdings in der Minderheit). Die Mehrheit der Elitekräfte folgt jedoch dem Befehl Salehs. Auch diese Soldaten wechseln anlassgegeben von Uniform zu Zivilkleidung, sodass totale Verwirrung über die sich bekämpfenden Gruppierungen herrscht. Hinzu kommt, dass zunehmend Desinformationen gestreut werden und medial Panik produziert wird.

Prinzipiell sind die Stammesmilizen, welche Präsident Hadi unterstützen, nur mit leichten Waffen ausgestattet, während Houthis und Saleh-Truppen über schweres Kriegsgerät verfügen, das teils aus Armee-Beständen gestohlen und teils aus dem Iran geliefert wurde.

Die „richtigen“ Houthi-Kämpfer erkennt man daran, dass sie sehr jung sind, unablässig Qat kauen, mit einer Kalaschnikov bewaffnet sind und die „Daaschi“ niederringen wollen.

Die Motive und Ziele der Houthis sind auch deshalb so schwer zu fassen, weil sie sich in den letzten Monaten sehr verändert haben. Auch scheint es, dass sie derzeit weit weniger unter iranischem Einfluss agieren als unter jenem von Saleh. Zuerst ging es Ihnen vor allem darum, vom Staat mehr Gleichberechtigung und gerechten Ausgleich zu erhalten.

Seit der Festlegung der neuen Regionalgrenzen im Frühjahr 2014 ist aber klar, dass es ihnen auch um eine territoriale Erweiterung ihres Einzugsgebietes und um den Besitz eines Rotmeerhafens und der Ölquellen in Marib geht. Ihre vorgebliche Bekämpfung von Korruption und alQaida ist durch den Merger mit Saleh ebenso unglaubwürdig geworden wie ihr Slogan, der aus den Zeiten der iranischen islamischen Revolution von 1979 datiert. Seit der Einnahme von Sanaa am 21. September 2014 streben sie offensichtlich eine autoritäre, militärische Herrschaft über den ganzen Jemen an.

Dabei setzen sie voll auf militärische Expansion, wo sie nicht eine territoriale „Übergabe“ wie in alBeidha und zuletzt in Taiz erreichen können. Die friedliche Übergabe erzwingen sie meist mit der Behauptung, sie wollten alQaida ausrotten. Dabei ist bemerkenswert, dass viele Houthi-Milizionäre alle Gegner – und die reichen nun von alQaida über Salafisten zur Islah-Partei und letztendlich auch bis zu Präsident Hadi (nicht aber Saleh und den Moutamar) als „Daaschi“ bezeichnen. „Daaschi“ von „Daasch“ ist die Abkürzung für Doula Islamia fi Scham, Islamischer Staat im Scham, vorderer Orient, meint also den IS.

Die Bombardements der saudischen Kampfflugzeuge schrecken seit dem 26.3. vor allem die Sananis allnächtlich auf, weil viele Standorte der Houthis sowie Kasernen und Arsenale der Nationalgarde und der Zentralen Sicherheit sich in der Stadt oder auf den umgebenden Hügeln befinden. In Sanaa sind es die Bomben, welche die Leute aus der Stadt vertreiben, in Aden treten erste Versorgungsmängel auf: Geschäfte, Banken, Tankstellen und andere Versorgungseinrichtungen sind seit Tagen geschlossen, dazu kommen wieder Stromabschaltungen und bewaffnete Auseinandersetzungen in allen Stadtteilen.

Wie es weitergehen wird, wird nicht mehr auf nationaler Ebene entschieden, sondern auf regionaler und internationaler. Die Golfstaaten sind an einer Fortsetzung der „Hilfsaktionen“ für den Jemen interessiert, weil sie damit die Bildung ihrer panarabischen Truppe praktisch austesten und konsolidieren können. Der Iran, Russland und China lehnen die bewaffnete Intervention ab, Russland und China erkennen jedoch Hadi als legitimen Präsidenten an – wie der Rest der Welt.

Die Houthis lehnen bislang alle Verhandlungen ab und wollen bis zum letzten Mann kämpfen, Saleh will verhandeln, aber keiner will mit ihm verhandeln, und die UNO verlautbart, wie viele Beobachter auch, dass die Krise nur am Verhandlungstisch gelöst werden kann. Aber wer soll mit wem verhandeln?

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