Newsletter 2015/1
Wir sind nun im vierten Jahr seit der jemenitischen Revolution 2011 angekommen und es ist an der Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen: Was ist von den Wünschen und Visionen der Jemeniten nach einem besseren Leben in dieser Zeitspanne erfüllt worden, was ist missglückt und was bleibt noch zu tun?
Vorab eine Bemerkung: den Ländern des „arabischen Frühlings“ wird aus westlicher Sicht oft vorgeworfen, sie seien mit ihren Revolutionen gescheitert, weil sie den politischen Transfer von Diktaturen und Kleptokratien zu demokratischen Zivilstaaten nicht in drei Jahren geschafft haben. Bevor solche Urteile gefällt werden, sollte man in Betracht ziehen, wie lange europäische Staatsgebilde gebraucht haben, sich aus absolutistisch regierten Staaten in Demokratien zu entwickeln.
Im Vergleich dazu hat der Jemen in drei Jahren unglaublich viel geschafft: von der Ausgangsbasis eine sehr großen Landes, einer Bevölkerungsexplosion (50% der Bevölkerung ist unter 15 Jahre alt), geringer Nutzung der Ressourcen zum Wohl der Menschen, vernachlässigter Infrastruktur, internationaler Diskriminierung als „Schurkenstaat“, extrem zentralistischer und kleptokratischer Regierung, in der fast nur Partikularinteressen befriedigt wurden, ubiquitärer Korruption, auseinanderdriftenden Bevölkerungsgruppen und Provinzen, Rebellionen an den Rändern, Nichtvorhandensein von jemenitischer Identität oder Nationalbewusstsein, und sich ausbreitender Armut, scheint es ein fast unmögliches Unterfangen, einen friedlichen Übergang zu schaffen.
Erschwerend kommt hinzu, dass die alten Kräfte, die 30 Jahre das Land geplündert haben, ihre Macht mit den ihnen zur Verfügung stehenden, fast unbegrenzten Mitteln erhalten und die geplünderten Güter nicht restituieren wollen.
Jemen ist in diesen drei Jahren in den Fokus von geostrategischen Interessen in der Region aber auch global geraten: die Auflösungsprozesse der bestehenden Ordnung und der regionale Machtkampf im mittleren Osten zwischen Saudi-Arabien, Katar, dem Iran und der Türkei und die wirtschaftlichen Interessen der Großmächte nehmen auf vielfache Weise Einfluss auf die Entwicklungen im Land. Während manche eine Konsolidierung des neuen Jemen fördern, sind andere Interventionisten daran interessiert, sektiererische Konflikte zu schüren und das Land weiter zu destabilisieren.
Sehr positiv hat sich in diesen Jahren die Aktivität des UN-Sonderbeauftragten Jamal Benomar ausgewirkt, der zahlreiche innerjemenitische Konflikte geschlichtet und dafür gesorgt hat, dass der Jemen das Image des Schurkenstaats verloren hat und als Modellaufbaustaat ins weltpolitische Licht gerückt ist, wodurch Umsturzversuche und Abdriften in die ständig drohende Gefahr eines Bürgerkriegs weitgehend vermieden werden konnten.
Was wurde erreicht? Vor allem der Umbau der politischen Strukturen hat große Fortschritte gemacht: der Nationale Dialog setzte in der Dialogkonferenz den Grundstein für den zukünftigen zivilen Rechtsstaat: 565 Delegierte aus allen Provinzen erarbeiteten als Vertreter der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen die Grundlagen für ein demokratisches Zusammenleben. Diese flossen in den Verfassungsentwurf ein, der kürzlich vom Verfassungsentwurfskomitee an Präsident Hadi übergeben wurde. Dieser enthält auch eine neue politische Verwaltungsstruktur des Landes, die nicht unumstritten ist. Die neue Struktur, welche den Ersatz der zentralistischen Regierung über 21 machtlose Provinzen durch eine Föderalstruktur mit 6 relativ autonomen Regionen vorsieht, wird von den Houthis angefochten, die eine Ungleichverteilung befürchten. Die Roadmap des Golfkooperationsrates von 2012, welche die alte Machtverteilung zementiert und die Houthis, die aus dem marginalisierten Norden des Landes hervorgegangen sind, die „Südländer“ mit der Haraka und die Zivilgesellschaften aus der politischen Teilhabe ausgeschlossen hatte, wurde am 21.9.2014 durch ein von allen Fraktionen unterzeichnetes „Friedens- und Partnerschaftsabkommen“ abgelöst, welches nun eine Partizipation aller Kräfte garantiert und gleichzeitig den Einfluss der „alten Eliten“ reduziert. Ein weiteres Plus: Jemen hat seit November 2014 eine neue Regierung unter der Führung von Khaled Mahfud Bahah. Die Minister wurden erstmals nicht nach parteipolitischen Kriterien berufen, sondern bilden ein Expertenkabinett.
Dessen gigantische Vorhaben werden dominiert von den beiden schwächsten Faktoren im derzeitigen Zustand des Landes: Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung.
Trotz diverser Reformbestrebungen im Militär und bei den Sicherheitskräften, ist es bisher in keiner Weise gelungen, den Jemeniten Sicherheit zu gewährleisten. Im Vorjahr sind 7.700 Jemeniten in gewalttätigen, politisch motivierten Konflikten ums Leben gekommen, mehr als je zuvor seit der Revolution. Die bewaffneten Konflikte zwischen den Houthis, die bisher acht Provinzen des Jemen „übernommen“ haben und alQaida, die partiell von sunnitischen Stämmen unterstützt wird, haben ebenso viel Blutzoll gefordert, wie die verheerenden Anschläge der alQaida gegen die Sicherheitskräfte und die Zivilbevölkerung. sektiererische Konflikte zwischen Sunniten und den Zeidi-Schiiten werden zwar geschürt, finden aber nur wenig Nährboden in einzelnen Provinzen.
Die Wirtschaft, die schon seit dem Beginn des Jahrhunderts zunehmend schwächelte, liegt am Boden und der Jemen hängt finanziell immer mehr am Tropf der „Freunde“, Sponsoren und Banken, was seine politische Unabhängigkeit weiter einschränkt. Vorrangig für das neue Kabinett ist daher erstens die Stillung der Grundbedürfnisse der Jemeniten (mit Hilfe der UNO und diversen Hilfsorganisationen) und zweitens die Schaffung eines Klimas und von Strukturen, welche die Wirtschaftstätigkeit und Investitionen begünstigen, was wiederum eine Verbesserung der Sicherheitslage erfordert. Dennoch gibt es Grund genug, optimistisch zu sein, denn die Jemeniten sind großartige Menschen.
Es bleibt sehr viel zu tun. Wir werden Sie über die Entwicklungen in monatlichen Ausgaben weiter informieren. Gerne können Sie diesen Newsletter als email bestellen.