In den letzten Wochen hat sich die militärische Lage im Jemen nur wenig verändert, doch wurden die bewaffneten Auseinandersetzungen schwächer, abgesehen von einigen erstarrten Frontlinien. Zwar bombardiert die saudische Luftwaffe nach wie vor mit Cluster- und anderem Bombenmaterial den Nordjemen bis ins südliche Taiz, doch ist die Frequenz der Bombeneinsätze derzeit geringer. Militärisch besonders aktiv ist hingegen alQaida: Sie kämpft in alBeidha, Schabwa und Abyan um ihre Rückzugsgebiete gegen die Houthi/Saleh-Truppen und mit den Hizam-Brigaden um ihr Überleben im Süden.
Friedensgespräche haben unter den Vorgaben und Bedingungen der „Internationalen Gemeinschaft“, bestehend aus US, UK, KSA und VAE, derzeit keine Chance und werden auch immer wieder verschoben. Dennoch werden in diesen Wochen die Weichen für die zukünftige Ausrichtung in den einzelnen Landesteilen gestellt. An diesen vorläufigen Nachkriegsentwicklungen lässt sich ein Auseinanderdriften der einzelnen Landesteile feststellen. Diese Veränderungen werden am meisten in den größeren Städten offensichtlich, wo sich die neuen Ordnungsmächte zu konsolidieren versuchen.
Aden
In Aden ist 18 Monate nach Ende der Kriegshandlungen die Infrastruktur der Stadt fast wieder funktionsfähig, obwohl es immer wieder Stromausfälle gibt. Zwar wurden moderne Dieselgeneratoren aus den Emiraten nach Aden gebracht, doch diese müssen wegen Treibstoffmangel zeitweise abgestellt werden. Auch die Abwasser- und Abfallentsorgung funktioniert jetzt besser. Die immer wieder angekündigte Inbetriebnahme des Flughafens ist jedoch nur eingeschränkt eingetreten: eine neu gegründete private „Queen Bilqis Airline“ soll Aden und Mukalla-Ryan mit internationalen Zielen versorgen. Auch großartige Ankündigungen der Wiederinbetriebnahme des Hafens gehen nur schleppend voran. Die Universität Aden war zwar bis auf drei Monate im Frühjahr 2015 stets in Betrieb, doch wurden nun die gesetzlichen Voraussetzungen und Studienordnungen sowie Stellenbesetzungen für die Absolvierung regulärer Studien geschaffen. Gerichte, Sicherheitsorgane und die öffentliche Verwaltung funktionieren jedoch noch immer nicht.
Bild: Neue Dieselgeneratoren in Aden aus den Emiraten sind wegen Treibstoffmangel zeitweilig außer Betrieb.
Seit Ende November ist Abdrubbah Mansur Hadi im Präsidentenpalast Maschiq in Aden-Tawahi ansässig, den er jedoch aus Sicherheitsgründen nur selten verlässt, zuletzt zu einem einwöchigen Abstecher nach Mukalla. Kritiker fürchten, dass Hadi einen Ausverkauf jemenitischer Ressourcen und Interessen betreibt, um die Kosten seines Regimes zu finanzieren.
Ende Dezember wurde – nach der Verlagerung der Zentralbank von Sana´a nach Aden – den Armeeangehörigen erstmals seit drei Monaten der Sold ausgezahlt und damit die Lage etwas beruhigt. Aden als „provisorische Hauptstadt“ sollte laut Hadi zur Modellstadt werden, doch dies ist bisher gründlich misslungen, vor allem aufgrund der instabilen und unsicheren Lage in der Stadt. Die Autobombenanschläge, die Daasch zur Eigenwerbung und Rekrutierung nützt, töten und verwunden in periodischen Abständen vor allem junge Rekruten in Massen. Zeitweilig haben in Aden bis zu 18 bewaffnete Gruppierungen und Milizen agiert, das Chaos und die Verunsicherung der Bevölkerung eskaliert. Alle 100 Meter gab es Checkpoints, an denen verschiedenen Milizen Kontrollen durchführten und „ihre“ Territorien bewaffnet abgrenzten.
Bild: Daasch wirbt mit dem Bild des jugendlichen Selbstmordattentäters mit Sprengstoffgürtel, der am 19.12. 2016 in Aden 40 Soldaten tötete und 50 verletzte
Zahlreiche Adanis haben gegen die Missstände demonstriert, Reifen auf den Straßen verbrannt und Blockaden errichtet, aus Protest gegen den Benzinmangel, die Stromabschaltungen, das Fehlen öffentlicher Dienstleistungen und die Unsicherheit. Auch die Sezessionisten bekamen wieder Auftrieb.
Hadi versucht nun, Oberhoheit über die Milizen entweder zu gewinnen oder sie zu eliminieren. Am wichtigsten sind dabei die sogenannten „Hizam-Brigaden“ (Sicherheitsgürtel). Dabei handelt es sich um Verbände in den südlichen Provinzen, die von den Emiraten (eventuell auch von KSA und Qatar) geschaffen und finanziert werden. Die bisher ca. 15.000 Sicherheitskräfte der „Hizam“ wurden im Südjemen rekrutiert und von emiratischen Offizieren insbesondere in Terrorbekämpfung in vier Provinzen ausgebildet und sollen gezielt gegen alQaida und Daasch eingesetzt werden, weshalb sie auch Zielscheibe der beiden Terrororganisationen sind. AlQaida wächst derzeit auf Kosten von Daasch, möglicherweise weil es ersterer gelingt, Widerstandskräfte gegen die „Besatzungstruppen“ zu mobilisieren und es Militär, politische Führungskräfte und auch Kleriker tödlich bekämpft. Andererseits soll das oberste Kommando der Hizam aus fundamentalistischen Salafisten bestehen. Bis jetzt haben sich die Hizam bei der Adaner Bevölkerung nicht beliebt gemacht, weil sie rigoros übergriffig agieren und bisher nicht dem Kommando Hadis folgen, sondern direkt von den Besatzungsmächten finanziert und daher fremdbestimmt sind. Sie bedrohen die Bevölkerung und führen eigene Gefängnisse. Die Spannungen zwischen Hadi und den Hizam-Verbänden weisen auch auf erhöhte Spannungen zwischen Hadi und den Emiraten hin. Es scheint, dass die Emirate Hadi nur halten, weil sie für rechtlich verbindliche Eingriffe im Süden eine legalisierte Rechtsperson benötigen.
Marib
Gouverneur der zentralen Provinz Marib mit bedeutenden Öl- und Gas-vorkommen ist der Hadi-treue Sultan alArada, der bisher auch mit der saudischen Besatzung kooperiert. Offensichtlich steht auch die Mehrzahl der Stämme, die in Marib die stärkste gesellschaftliche Kraft stellen, hinter dem Salafisten Arada. Marib war der erste Stützpunkt der saudischen Bodeninvasion im Mai 2015, die gleich zu Beginn einen schweren Rückschlag durch einen Raketenangriff erlitt. Seitdem beteiligen sich saudische
Truppen nicht mehr direkt an den Kämpfen am Boden. Zwar gibt es in Marib wie auch in den südlichen Provinzen ausländisches Militär, vor allem aus den Emiraten, Saudi Arabien und den USA, doch hält es sich aus Sicherheitsgründen in den Kasernen und Armeelagern verschanzt. Gekämpft wird seit einem Jahr ohne größere Verschiebungen des Frontverlaufs nur im gebirgigen Westen der Provinz Marib an der Grenze zu Sana´a-Umgebung, vor allem in der ehemaligen sabäischen Metropole Sirwah und in Nehm. Die Provinzhauptstadt Marib ist derzeit eine stämmisch geprägte Kleinstadt mit etwa 30.000 Einwohnern, scheint aber eine bedeutendere Zukunft zu haben, denn in letzter Zeit hat eine rege Bautätigkeit eingesetzt. Es werden viele private Häuser neu errichtet. Bauherren sind vor allem Zugereiste aus den von den Houthis besetzten Gebieten. Es sind vor allem Proponenten der Islah-Partei, Anhänger der Salafisten, der Muslimbrüder, Stammesscheichs und Nordjemeniten aus dem Umkreis Hadis, sowie Proponenten des Moutamar, die sich vom Moutamar Salehs abgespalten haben und Hadi ins Exil gefolgt sind, die sich Marib zum neuen Wohnort auserkoren haben. Sie stammen aus Amran, Sana´a, Dhamar und anderen Städten des Nordens, die derzeit von den Houthis und dem Moutamar regiert werden. Offensichtlich rechnen diese Binnenflüchtlinge, von denen viele zwischenzeitlich außer Landes waren, nicht mehr damit, in absehbarer Zeit nach Sana´a oder die anderen Städte des Nordens zurückkehren zu können.
Sie gehen davon aus, dass längerfristig keine Rückkehr möglich und Marib Hauptstadt der Region Saba sein wird, und rechnen offensichtlich damit, dass die in der Nationalen Dialogkonferenz 2013/14 beschlossene Föderalstruktur doch noch umgesetzt wird und Marib Hauptstadt der Region Saba mit den Provinzen Marib, alJauf und alBeidha werden wird. Die Grundstückspreise in Marib schießen jedenfalls in die Höhe.
Taiz
Manche Beobachter vergleichen die Lage in Taiz mit jener von Aleppo. Seit Kriegsbeginn Ende März 2015 wird erbittert gekämpft. Dass gerade die liberalste, reichste und freieste Stadt des Jemen zum Schauplatz erbitterter und z.T. sektiererischer Kämpfe wurde, erscheint wie eine Ironie des Schicksals. Der Stadtkern von Taiz wird von einer Widerstandsbewegung gehalten, die unter der Führung von Hamud alMikhlafi die in einer Mulde gelegene Stadt mit allen Mitteln, insbesondere Artillerie zu halten versucht. Der Volkswiderstand im Stadtgebiet von Taiz ist salafistisch geprägt und repräsentiert sicher nicht die Grundhaltung des Großteils der Bevölkerung, die nur noch Frieden wünscht. Auf den Bergen rund um Taiz belagern die Verbände der Houthis und Salehs die Stadt und nehmen sie mit schweren Geschossen unter Feuer. Nach 20 Monaten Krieg sind Teile der Stadt so zerstört wie Aleppo. Häufig werfen zudem die Flugzeuge der saudischen Koalition Bomben über der Stadt und dem Umland ab. Beide Kriegsparteien, insbesondere aber die Belagerer haben sich der Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht. Zahlreiche der über eine halbe Million Einwohner sind aus den östlichen umkämpften Vierteln der Stadt geflohen. Der Belagerungsring um die Stadt hat zu einem schweren Versorgungsnotstand an Medizin und Lebensmitteln geführt. Die Güter werden auf Eselspfaden in die Stadt geschmuggelt und sind nur zu erhöhten Preisen erhältlich.
Bild: Mitglieder der salafistischen Miliz „Volkswiderstand“, die vom Volk mehrheitlich nicht geschätzt wird, im weitgehend zerstörten Taiz
„Shooting and looting“ ist die Taktik der Milizen im „befreiten“ Taiz, wo sich aufgrund der bewaffneten Eskalation und der Not der Bevölkerung der Hass zwischen fundamentalistischen Sunniten und Zeidis aufschaukelt. Verlassene Häuser werden umgehend von den salafistischen Milizionären geplündert, Einwohner verschleppt und bleiben oft wochenlang verschwunden. Es gibt auch Beschwerden, dass die Milizionäre nach der Eroberung von Straßenzügen die Haustüren durch Schüsse öffnen und dann plündern. Kein Gebiet, keine Stadt im Jemen – außer Saada – wurde so brutal vom Krieg heimgesucht wie Taiz. Gerade der Mittelstand leidet am meisten unter dem Krieg: Häuser werden zerstört und geplündert, viele Schulen sind geschlossen, öffentliche Bedienstete haben monatelang keine Gehälter ausgezahlt bekommen, viele sind arbeitslos und müssen ihre Ersparnisse oder ihr Hab und Gut verkaufen um zu überleben. Kühlschränke, Fernsehapparate, Waschmaschinen und Möbel aller Art sind am Markt von Taiz zur Hälfte des Wertes angeboten. Viele Menschen fühlen sich zwischen den Fronten von beiden Seiten terrorisiert. Ein geplagter Taizi:
“Ich habe weder zu den Houthis noch zur Widerstandsbewegung Vertrauen, weil beide sich nicht um die Zivilbevölkerung kümmern“. Geplündert wird aber auch in von den Houthis besetzten Gebieten im Umland von Taiz.
Dennoch ist die Lage in Zonen unter Houthi-Kontrolle wesentlich besser, weil Polizei, Schulen, Krankenhäuser, Gerichte im Gegensatz zu den von den Milizionären besetzten Gebieten funktionieren. Zeitweise haben auch alQaida-Kämpfer an der Seite des „Volkswiderstands“ gegen die Houthi-Belagerung gekämpft, derzeit soll dies nicht der Fall sein. Tatsache ist aber, dass die Milizen die Reste von Ordnung eher zerstören und Anarchie verbreiten. Damit schaffen sie ein ideales Klima für die Terrororganisationen.