Nach dem ersten Newsletter vor einem Monat ist die politische Lage im
Je-men vollkommen gekippt und wir stehen vor einer neuen Konstellation.
Seit dem Ausbruch der Revolution im Februar 2011 erlebte der Jemen im
Schnelldurchlauf eine politische Evolution des Staates, der
Nationenbildung, der politischen Gliederung und der Emanzipation der
politischen Kräfte. Soon after the first newsletter last month the political situation in Yemen overturned completely and we are faced with an entirely new constellation.
In the wake of the revolution in February 2011 Yemen
experienced a marathon of political evolutions resulting in a new national composition in terms of political structure, and an emancipation of political powers. Despite numerous steps backwards, above all in the economic development, a fair amount of progress was achieved in the course
of three years, in particular in the field of active participation of heterogeneous political groups, the advancement of democratic processes, the decentralisation of power, freedom of expression and the press, and the right of free assembly.Trotz vieler Rückschritte, vor allem in der
wirtschaftlichen Entwicklung, wurden in drei Jahren viele Fortschritte
erreicht, vor allem was die politische Partizipation heterogener
politischer Gruppierungen, die Entwicklung demokratische Prozesse, die
Dezentralisierung der Macht, die Meinungs-, Presse- und
Versammlungsfreiheit betrifft.
Was nun geschehen und am 8. Februar nach vier Etappen mit der
Ausschal-tung des rechtsstaatlichen Systems zum vorläufigen Abschluss
gekommen ist, ist ein Putsch der restaurativen Kräfte, die den autoritären
Staat mit zentralistischer Machtausübung, Ausbeutung der Ressourcen durch
eine pri-vilegierte Minderheit und Unterdrückung der Bevölkerung mit
militärischer Gewalt wieder etablieren wollen. Die Houthis haben sich mit
dem 2011 ab-gelösten autoritären Regime von Ali Abdullah Saleh verbündet
und in einem internationalen Komplott Unterstützung von Interessengruppen
in Abu Dha-bi, Saudi Arabien und dem Iran erhalten, um die Revolution und
deren Er-rungenschaften für die Bevölkerung gewaltsam zu revidieren.
Dementspre-chend groß ist der Widerstand in der Bevölkerung, der massiv
unterdrückt wird.
Manche Medien interpretieren den Putsch als Ausdruck eines sektiererischen
Konflikts zwischen den Zeidis, eines Unterform der schiitischen
Glaubensrichtung, welche den Norden des Jemen und die annektierten Gebiete
im Süden Saudi Arabiens jahrhundertelang geprägt hat, und den Sunniten
verschiedener Richtungen im Süden, Westen und Osten des Landes. Sie
missdeuten den ausgebrochenen Konflikt, der primär ein politischer ist
und in dem sektiererische Argumente eher zur Verschleierung der
Niederschlagung der demokratischen Entwicklung benutzt werden.
Wie gewalttätig das neue Militärregime ist, machen Entführungen,
Miss-handlungen, Arretierungen, Drohungen und Einschüchterung der
bisherigen Regierungsmitglieder deutlich. In der kurzen Zeit seit ihrer
Machtübernah-me haben sich die Houthis die Bezeichnung der Qat- und
Kalaschnikow-Partei erworben und werden in ihren rückschrittlichen
Forderungen zuneh-mend mit den Taliban verglichen.
Der Putsch wirkt sich, wie Nadia alSakkaf, die Informationsministerin der
abgesetzten Regierung und frühere Herausgeberin der “Yemen Times“ in einem
Gespräch mit der Verfasserin dieses Newsletters analysiert, auf drei
Ebenen einschneidend auf die Lage des Jemen und der jemenitische
Bevölkerung aus.
Die Aussenbeziehungen des Jemen:
Seit der Revolution war es gelungen, den zuvor verheerenden Ruf des
Lan-des als Brutstätte von Terror und Entführungen abzulegen und in der
inter-nationalen Gemeinschaft Anerkennung für den Wunsch nach friedlichem
po-litischem Transfer mittels der Nationalen Dialogkonferenz und
vielfältiger Unterstützung bei diesem Prozess zu finden. Der brutale
Umgang der Hout-his mit Diplomaten in Sana´a und die gewaltsame Absetzung
der legitimen Regierung haben dazu geführt, dass westliche Regierungen und
arabische Staaten ihre Botschaften schlossen und der Jemen, solange die
Houthis an der Macht sind, isoliert wird. Die UNO, der Golfrat und andere
internationale Gremien fordern die Wiedereinsetzung von Präsident Hadi und
die Annullierung der „Verfassungsankündigung“ durch die Houthis, mit
welcher sie sämtliche rechtsstaatlichen Grundlagen außr Kraft gesetzt
haben.
Die Lage der Menschenrechte:
Hier ist ebenso drastisch wie rapide eine extreme Verschlechterung
einge-treten. Die vollständige Aufhebung der Grundlagen des Rechtsstaats
seit dem Einmarsch in Sana´a am 21.9.2014 und deren Ersatz durch Erlässe
einer 17-köpfigen Militärjunta am 8.2.2015 ermöglicht dem Regime
Durchgriffe gegen alle bürgerlichen Freiheiten. Es ist sicher nicht
übertrieben, von Staatsterror zu sprechen.
– Entführung und Gefangennahme des Leiters der Präsidialkanzlei, Ahmed
Aswad bin Mubarrak, wochenlange Inhaftierung in einer Kerkerzelle und
Misshandlung.
– Belagerung des Wohnsitzes des Präsidenten Abdrubbah Mansur Hadi,
er-zwungene Resignation, Isolation des Präsidenten und Hausarrest bis
21.2.2015. Der schwerkranke Präsident litt unter Herzproblemen, eine
Versorgung in einem Krankenhaus wurde verweigert.
– Hausarrest über und Drangsalierung von diversen anderen Mitgliedern der
Regierung inklusive Ministerpräsident Khaled Bahlah.
– Nötigung zweier ehemaliger Minister, im „Militärrat“ mitzuarbeiten.
– generell Drohungen und Nötigungen von politischen Vertretern anderer
Parteien, sofern sie sich nicht bedingungslos den Forderungen der Houthis
unterwerfen.
– Ausschluss von Frauen von verantwortlichen Positionen, Bedrohung von
Frauen im öffentlichen Leben. Auffassungen über die Rechte von Frauen im
sozialen Leben ähnlich wie die Taliban.
– Massiver Druck bis hin zur physischen Nötigung im Kommunikations- und
Mediensektor. Sämtliche öffentlichen Medien wurden von den Houthis
zwangsweise unter dem Vorwand der Korruptionsbekämpfung übernom-men und
werden zu eigenen Propagandazwecken missbraucht. Andere Medien (ausser dem
Medienimperium von A.A. Saleh) werden ausgeschaltet, gehackt, und massiv
unter Druck gesetzt, vom Netz genommen, sofern sie nicht aus dem Ausland
operieren.
– Einschränkung der Versammlungsfreiheit durch ein Edikt, welches
De-monstrationen genehmigungspflichtig durch den Militärrat macht. Bei
friedlichen Demonstrationen gegen die Houthi-Besatzung wurden in Sana´a
und anderen Städten in den letzten Tagen Dutzende Personen festgenommen,
gekidnapt und verschleppt. Zahlreiche wurden Folterungen und schwersten
Misshandlungen unterworfen und mit dem Tode bedroht, sollten sie je wieder
an Demonstrationen teilnehmen.
– Revision der Forderungen nach einem Leben in Würde, die in der
Revoluti-on gestellt und in der NDK formuliert und in den
Verfassungsentwurf auf-genommen wurden.
– Dieses Leben in Würde wird allein schon durch eine weitere Verarmung der
Bevölkerung aufgrund der Machtübernahme durch die Houthis unter-miniert.
Die vielen ausländischen Regierungsorganisationen und NGO’s, die tätig
sind, um der Ernährungsunsicherheit, der Unterernährung der Kinder, der
mangelnden Versorgung mit Wasser, Grundnahrungsmitteln und medizinischer
Grundversorgung entgegen zu wirken, werden aufgrund der Schikanen gegen
ausländische Organisationen und wegen des nun mangelnden diplomatischen
Rückhalts das Land bald verlassen müssen, sofern sich die Lage nicht
entscheidend ändert.
– Eine weitere ökonomische Bedrohung ist schon in Kürze zu erwarten: der
jemenitische Rial, der sich bisher am USD orientiert, ist in akuter
Abwer-tungsgefahr. Da die meisten Lebensmittel (außer landwirtschaftlichen
Produkten) Importwaren sind, ist mit weiteren Teuerungswellen zu rech-nen,
die nur von einer Minderheit der Bevölkerung aufgefangen werden können.
Die Sicherheitslage:
Die Houthis verfügen über eine gut ausgerüstete und mit modernen
Kriegs-waffen ausgestattete Miliz. Über die Mann-Stärke sind keine
gesicherten Zahlen bekannt, ebenso wenig detaillierte Aufstellungen über
ihre Kriegs-ausrüstung. Weil ihr Siegeszug aus Saada über Amran nach
Sana´a im letzten Jahr aber scheinbar unaufhaltsam war (und auch in
Erinnerung an die 6 Kriege 2004-2010, in denen sie gegen die jemenitische
Armee siegreich blieben), galten sie als unbesiegbar. Inzwischen ist aber
bekannt, dass Ihnen von verschiedenen Militäreinheiten bei ihrem Vormarsch
Hilfe geleistet wurde, indem ihnen Kriegsrüstung aus Arsenalen und
Kasernen der Armee überlassen wurde und Kasernen ohne Gegenwehr geräumt
wurden. Schon seit längerem verfügen die Houthis zudem über moderne
Kommunikationsmittel zur Überwachung und für die Logistik der
Milizeinsätze zur Eroberung von Terrain und zuletzt der Hauptstadt Sana´a.
Die Ausstattung und Ausbildung in diesen Technologien haben sie laut
informierten Quellen im Libanon durch iranische Fachleute erworben.
Die Einnahme der Hauptstadt Sana´a und der Staatsstreich sind ein Ergebnis
der des militärischen Einsatzes der Houthi-Miliz. Der politische Flügel
der Houthis, „Ansar Allah“, konnte sich mit der erstrebten Verhinderung
der Föderalisierung gegen die Mehrheiten in den Entscheidungsgremien nicht
durchsetzen, mit Mitteln des Krieges wurden vollendete Tatsachen
geschaffen.
Die Houthis haben mit ihrer Machtübernahme ihre Miliz praktisch zur
staat-lichen Armee erklärt. Das bedeutet aber auch, dass die jemenitische
Ar-mee, die aufgrund ihrer Illoyalität zum Staat und ihrer Fraktionierung
sei-tens gewisser Partisanen ohnehin schwach war, nun einer Miliz
untergeord-net wurde. Es bedeutet aber auch, dass jegliche Miliz,
bewaffnete Grup-pen wie Stammesverbände, Bürgerwehren, alQaida, Dasch oder
vergleich-bare bewaffnete Gruppierungen die Macht mit Waffengewalt
übernehmen und die Staatsmacht usurpieren könnten.
Bisher haben die Houthis auf alle Forderungen der Internationalen
Gemein-schaft und der politischen Vertreter im Lande mit einer
unnachgiebigen Ab-lehnung jeglicher Machtabgabe reagiert. Der fern auf
seinem Berg in Saada eingebunkerte Führer der Houthis, Abdelmalik
alHouthi, dirigiert übers Fernsehen ohne Berührung mit der Bevölkerung
sein „edles jemenitisches Volk“ und nimmt für sich in Anspruch,
die-„Revolution zu vollenden“.
Bis zum nächsten Newsletter sind weitere Verschiebungen in der politischen
Landschaft zu erwarten.