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Wieder wird der Jemen von schwersten Unruhen erschüttert.

Nachdem meuternde Truppen der zentralen Sicherheit und der Nationalgarde sowie Houthimilizen weiter in den Süden vordrangen und Aden, dem derzeitigen Regierungssitz, gefährlich nahe kamen, eskalierte die Lage. Präsident Hadi musste fliehen und gelangte über Riadh nach Scharm alScheich zum Gipfeltreffen der arabischen Liga, wo Jemen und die militärische Intervention der Golfstaaten das zentrale Thema bildet.

Der Jemen ist derzeit auch Hauptthema der internationalen Nachrichten, zumal die Zuspitzung der Lage mit dem Steigen der Ölpreise bereits weltweite Konsequenzen hat. Viele Nachrichten stellen den jemenitischen Konflikt als Religionskrieg oder Stellvertreterkonflikt für den Machtkampf zwischen Saudiarabien und dem Iran um die Vorherrschaft im Nahen Osten dar.

Auch Hadi selbst und Vertreter arabischer Staaten stellen den Konflikt beim arabischen Gipfel so vereinfacht dar, um – endlich – eine starke  Solidarität der arabischen Länder gegen den Iran zu erreichen und die Basis für eine gemeinsame militärische Eingreiftruppe zu schaffen. Dabei profiliert sich als Führungsfigur der junge saudische Verteidigungsminister Mohamed bin Salman, Sohn des kränkelnden Königs, und der Jemen bildet den Schauplatz für den ersten Einsatz der panarabischen Truppe.

Die Situation ist jedoch komplexer:

Im Jemen kämpfen drei Kräfte um die Macht im Staate. Es handelt sich nicht um einen Religionskrieg – auch wenn manche Medien dies behaupten, sondern um einen politischen und militärischen Machtkampf.

Die Schlüsselfigur dabei ist der 2012 nach der Revolution abgesetzte Präsident Ali Abdullah Saleh, der sich in 30 Jahren absoluter Herrschaft ein effizientes Netzwerk im Militär, bei den Sicherheitskräften, bei einer reich gewordenen Elite und bei den Stämmen geschaffen und erhalten hat. Obwohl er Immunität zugesichert erhielt und mit 60 Milliarden USD, die er während seiner Regierungszeit privat „erwirtschaftet“ hat, ein blendendes Auskommen für seinen gesamten Familienclan hätte, hat Saleh seine erzwungene Abdankung nie akzeptiert und kontinuierlich vor allem durch Sabotage der Regierung von Abdrubbah Mansur Hadi, seinem Vizepräsidenten und Nachfolger, versucht, wieder an die Macht zu gelangen und seinen Sohn Achmed Ali, einen ehemaligen Kommandanten der Republikanischen Garde, als Präsident in einem zentralistisch und autoritär regierten Jemen zu etablieren. Dabei war ihm klar, dass er bei Beibehaltung der Roadmap der Golfstaaten für den politischen Übergang, also nach Verabschiedung einer neuen Konstitution mit demokratischem Wahlrecht und entsprechender Wählerregistrierung keine Chance auf einen regulären Wahlsieg hätte. Denn Rückhalt hat er nur bei einer kleinen Minderheit, die von seiner Bereicherung auf Kosten des Volkes profitierte, während Investitionen in die Infrastruktur und in die Wirtschaft, welche der gesamten Bevölkerung zugute gekommen wären, sträflich vernachlässigt wurden.

Salehs Strategien zum Usurpieren der Macht kulminierten wegen des Zeitplans des politischen Übergangs in den letzten Monaten, wobei er – wie während seiner gesamten Amtszeit – rücksichtslos gegenüber dem jemenitischen Volk vorging, das zunehmend verarmte und Sabotageakten ausgesetzt war, die nicht nur blutige Anschläge sondern absichtliche Verknappung von Strom, Benzin, Gas und anderen Grundelementen der Versorgung und weitere Massnahmen zur Destabilisierung der Regierung von Abdrubbah Mansur Hadi umfassten. Zu diesem Zweck setzte er auch sein Medienimperium ein, das auf das Volk einhämmerte, früher – unter Saleh – sei alles besser gewesen und jetzt sei alles schlecht und die Regierung schwach.

Schon vor zwei Jahren schmiedete Saleh ein Komplott, welches ihm den Wiedergewinn der Macht durch Instrumentalisierung der Houthis sichern sollte. An diesem Komplott waren nicht nur Vertreter der Houthis selbst, sondern Repräsentanten der VAE und des früheren saudischen Königs Abdullah beteiligt – und auch der Iran wurde auf dem Laufenden gehalten. Das Komplott blieb nicht geheim und hatte letztendlich zur Folge, dass Saleh und Vertreter der Houthis von der UNO mit Sanktionen (Reiseverbot, Einfrieren der Konten) belegt wurden. Ausserhalb des Jemen betrieb Sohn Achmed Ali Saleh, Botschafter in den Emiraten, die Koordination des Komplotts und versuchte gleichzeitig, die Milliarden am Finanzplatz Dubai vor dem Einfrieren der Konten zu verstecken.

Ein von AlJazira vor einigen Wochen publiziertes Telefongespräch zwischen Ex-Präsident Saleh und einem Houthivertreter, bei dem es um die Verhinderung der Ernennung von Achmed bin Mubarak zum Regierungschef im November 2014 ging, lässt darauf schliessen, dass Saleh in diesem ungleichen Politkomplott das Sagen hatte.

Es ist nach wie vor unerklärlich, warum die Houthis auf das Komplott eingegangen sind. Es war absolut vorhersehbar, dass Saleh nie beabsichtigte, die Macht zu teilen und vorhatte, die Houthis, die bei militärischen Erfolgen bei den Golfstaaten Alarmglocken auslösen würden, ans Messer zu liefern und dann als Retter des Vaterlands dazustehen und reibungslos die Macht zu übernehmen. Die Vertreibung der wichtigsten Vertreter der Islah-Partei aus dem Land, die Zerstörung der Parteistruktur der Islah und die Jagd auf Präsident Hadi und seine Regierung, die Auflösung aller Regierungsstrukturen und Missachtung der Gesetze verwandelten das Land in den letzten Wochen und Monaten in einem Albtraum an Destabilisierung, Chaotik und zunehmender Gewalt. Zwei Tage vor dem ersten Bombenangriff durch die panarabische Luftwaffe wurde dann auch Ali Achmed Saleh in Riadh vorstellig und schlug genau diesen Handel vor: Saleh liefert die Houthis ans Messer, Saudiarabien erreicht für die Salehs dafür die Aufhebung der Sanktionen und den Weg zur Macht.

Doch laut alArabia stiess er auf absolute Ablehnung beim neuen Verteidigungsminister Mohamed bin Salman (35), der auch engste Vertrauensperson seines Vaters, des Königs ist. Dieser verwies ihn auf die Golfinitiative und die Rechtmässigkeit der Präsidentschaft von Abdrubbah Mansur Hadi. Mohamed bin Salman wies Achmed Ali auch darauf hin, dass die rote Linie die Stadt Aden sein und die Golfstaaten eingreifen werden, sobald diese rote Linie überschritten ist – was spätestens am Mittwoch 25. März der Fall war.

Die Houthis haben sich den Ruf als unbesiegbare Kraft auf ihrem Vormarsch von Saada über Amran nach Sanaa und dann nach Osten, Westen und Süden erworben. Sehr viel von diesen militärischen Siegeszügen ist nichts als Camouflage, aber gerade diese Camouflage hat zur völligen Verunsicherung der Bevölkerung beigetragen. Denn die Houthis sind zumeist – vor allem was Taizz und Aden betrifft – nicht einmarschiert, sondern sie waren schon da. In den grösseren Städten gibt es überall Kasernen und Waffenarsenale der „Special forces“, zumeist frühere Mitglieder der Zentralen Sicherheit (amn almarkazi) und der Republikanischen Garde (harras aljumhori), und es sind Soldaten dieser Einheiten, welche nur dem Befehl Salehs folgen, die den Siegeszug der Houthis simulieren.

Deshalb ist das wer, wann, wie, warum der Kriegshandlungen kaum mehr nachzuvollziehen, weil Unklarheit darüber herrscht, welche bewaffneten Gruppen mit welchen Bezeichnungen welche Aktivitäten setzen. Als „Volksmiliz“ können sowohl bewaffnete Unterstützer der Houthis (also Mitglieder Saleh-loyaler Truppen) wie organisierte Stammesmilizen firmieren. Houthis treten sowohl in Zivilkleidung wie in verschiedenen Militäruniformen auf. Unter den Sicherheitskräften gibt es Gruppierungen, welche den Vormarsch der Houthis forcieren und solche, die auf Seiten Hadis kämpfen (diese sind allerdings in der Minderheit). Die Mehrheit der Elitekräfte folgt jedoch dem Befehl Salehs. Auch diese Soldaten wechseln anlassgegeben von Uniform zu Zivilkleidung, sodass totale Verwirrung über die sich bekämpfenden Gruppierungen herrscht. Hinzu kommt, dass zunehmend Desinformationen gestreut werden und medial Panik produziert wird.

Prinzipiell sind die Stammesmilizen, welche Präsident Hadi unterstützen, nur mit leichten Waffen ausgestattet, während Houthis und Saleh-Truppen über schweres Kriegsgerät verfügen, das teils aus Armee-Beständen gestohlen und teils aus dem Iran geliefert wurde.

Die „richtigen“ Houthi-Kämpfer erkennt man daran, dass sie sehr jung sind, unablässig Qat kauen, mit einer Kalaschnikov bewaffnet sind und die „Daaschi“ niederringen wollen.

Die Motive und Ziele der Houthis sind auch deshalb so schwer zu fassen, weil sie sich in den letzten Monaten sehr verändert haben. Auch scheint es, dass sie derzeit weit weniger unter iranischem Einfluss agieren als unter jenem von Saleh. Zuerst ging es Ihnen vor allem darum, vom Staat mehr Gleichberechtigung und gerechten Ausgleich zu erhalten.

Seit der Festlegung der neuen Regionalgrenzen im Frühjahr 2014 ist aber klar, dass es ihnen auch um eine territoriale Erweiterung ihres Einzugsgebietes und um den Besitz eines Rotmeerhafens und der Ölquellen in Marib geht. Ihre vorgebliche Bekämpfung von Korruption und alQaida ist durch den Merger mit Saleh ebenso unglaubwürdig geworden wie ihr Slogan, der aus den Zeiten der iranischen islamischen Revolution von 1979 datiert. Seit der Einnahme von Sanaa am 21. September 2014 streben sie offensichtlich eine autoritäre, militärische Herrschaft über den ganzen Jemen an.

Dabei setzen sie voll auf militärische Expansion, wo sie nicht eine territoriale „Übergabe“ wie in alBeidha und zuletzt in Taiz erreichen können. Die friedliche Übergabe erzwingen sie meist mit der Behauptung, sie wollten alQaida ausrotten. Dabei ist bemerkenswert, dass viele Houthi-Milizionäre alle Gegner – und die reichen nun von alQaida über Salafisten zur Islah-Partei und letztendlich auch bis zu Präsident Hadi (nicht aber Saleh und den Moutamar) als „Daaschi“ bezeichnen. „Daaschi“ von „Daasch“ ist die Abkürzung für Doula Islamia fi Scham, Islamischer Staat im Scham, vorderer Orient, meint also den IS.

Die Bombardements der saudischen Kampfflugzeuge schrecken seit dem 26.3. vor allem die Sananis allnächtlich auf, weil viele Standorte der Houthis sowie Kasernen und Arsenale der Nationalgarde und der Zentralen Sicherheit sich in der Stadt oder auf den umgebenden Hügeln befinden. In Sanaa sind es die Bomben, welche die Leute aus der Stadt vertreiben, in Aden treten erste Versorgungsmängel auf: Geschäfte, Banken, Tankstellen und andere Versorgungseinrichtungen sind seit Tagen geschlossen, dazu kommen wieder Stromabschaltungen und bewaffnete Auseinandersetzungen in allen Stadtteilen.

Wie es weitergehen wird, wird nicht mehr auf nationaler Ebene entschieden, sondern auf regionaler und internationaler. Die Golfstaaten sind an einer Fortsetzung der „Hilfsaktionen“ für den Jemen interessiert, weil sie damit die Bildung ihrer panarabischen Truppe praktisch austesten und konsolidieren können. Der Iran, Russland und China lehnen die bewaffnete Intervention ab, Russland und China erkennen jedoch Hadi als legitimen Präsidenten an – wie der Rest der Welt.

Die Houthis lehnen bislang alle Verhandlungen ab und wollen bis zum letzten Mann kämpfen, Saleh will verhandeln, aber keiner will mit ihm verhandeln, und die UNO verlautbart, wie viele Beobachter auch, dass die Krise nur am Verhandlungstisch gelöst werden kann. Aber wer soll mit wem verhandeln?

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